Warum will eigentlich niemand eine echte ALG II Erhöhung?

Seit die Regeln für Sozialleistungen in Deutschland komplett reformiert wurden, 2005 war das, mit Hartz IV, wurde ziemlich viel nachgebessert. Die Linke wollte die Reformen am liebsten ganz rückgängig machen, die Grünen und die Sozen hatten Gewissensbisse und versprachen Änderungen. Das meiste, was sie versprochen haben, wurde aber nicht umgesetzt, und die Änderungen waren auch vor allem Kleinigkeiten.

Bevor ich mich jetzt aber um die Parteien kümmere, wollen wir doch erstmal die bisherige Entwicklung betrachten. Die bietet nämliche einige Interessante Hinweise darauf, was für eine Politik wahrscheinlich erfolgen wird und was für eine Politik nötig wäre.

Wer Arbeitslos war, der erhält seit 2005 stolze 345 Euro, im Osten waren es nochmal etwas weniger, aber gehen wir mal vom höheren Satz aus. Wohnkosten werden bis zu einer bestimmen Höhe übernommen, die wollen wir also auch mal ausklammern, immerhin sind die regional unterschiedlich und schwer vergleichbar.

Gegen die Ärmsten Politik zu machen ist nicht besonders schwer. Die “Schmarotzer”, gegen die die Bild so wunderbar Stimmung machen kann, können sich immerhin kaum wehren. Das hilft vielleicht, zu erklären, warum sich in den ersten Jahren wenig tat am Regelsatz – trotz steigender Lebenshaltungskosten. Die Inflation sorgt dafür, dass man sich jedes Jahr weniger kaufen kann – da muss das Einkommen halt mit steigen. Nennt sich auch Inflationsangleichung und ist eine Standardforderung von Gewerkschaften. Wenn ich, sagen wir mal, 1000 Euro verdiene, eine Lohnerhöhung um 1 Prozent kriege, die Inflation aber 2 Prozent beträgt, dann verliere ich unterm Strich 1 Prozent.

Die Arbeiter können sich nun wehren, weil sie ja Gewerkschaften haben. Arbeitslose dagegen dürfen zuschauen, wie von vornherein niedrige Sätze, die angeblich am Minimum lagen, kaum gestiegen sind, bei steigenden Lebenshaltungskosten – unterm Strich ist ihre Kaufkraft also gesunken. Das kann man sich hier anschauen.

woooo du benutzt noch alt texte du so cool dude

Rot zeigt an, wie der Regelsatz gestiegen wäre, wenn es eine Inflationsanpassung gegeben hätte, blau zeigt an, wie der Regelsatz de facto angestiegen ist. Man sieht sehr schön, dass der Abstand zwischen beiden gestiegen ist. Erst etwa seit 2009 (ja, da wurde die SPD abgewählt, ironisch, gelle) ist der Abstand in etwa gleich geblieben, weil der Regelsatz jährlich in nennenswerter Höhe gestiegen ist.

2009 ist noch in andere Hinsicht interessant – die erste Wahl ohne Schröder und seit Hartz IV fand statt. Die Grünen besannen sich auf ihr linkes Erbe und forderten stolze 420 Euro als Regelsatz für das ALG II. Wie man hier sieht, war eine Erhöhung dringend nötig, und 420 Euro wären ein deutliche Schritt nach vorne gewesen. Die SPD blieb da deutlich vager, die Linke wollte am liebsten ganz raus.

entweder, die spd ist in der opposition erfolgreicher, oder die fdp ist sozialer

Hier sieht man noch einmal, wie die Differenz genau verläuft. Fairerweise muss man sagen, dass diese Zahlen nicht nochmal Inflationsbereinigt sind, das heißt, Euros am Anfang sind nochmal nen Ticken mehr wert als Euros am Ende der Grafik – der Effekt dürfte aber nicht zu groß sein, und wir führen ja keine wissenschaftliche Studie durch, also darf es ruhig einigermaßen verständlich bleiben. Im Zweifel einfach der Verständlichkeit halber diesen Absatz ignorieren.

Wollen wir aber noch einmal genau darauf schauen, wie diese Kurve zustande kommt.

jap, ich kann auch andere Graphiken

Hier sehen wir jetzt die Steigerung in jedem Jahr (rot) sowie die Inflationsrate in diesem Jahr (blau). Man sieht sehr schön, das in den ersten Jahren eine Steigerung “vergessen” wurde. Das dürfte unter anderem daran liegen, dass die Kosten für Hartz IV phänomenal unterschätzt wurden und die Gesamtausgaben am Anfang explodiert sind – nicht zuletzt dank einer ausbordenden Kontroll-Bürokratie und unklaren Rechtsansprüchen. Also alles vermeidbare Dinge.

Um das also zu kompensieren hält man einfach still. Eine echte Verringerung des Satzes hätte für Protest gesorgt – eine de facto Verringerung, ohne den Nominalsatz anzutasten, wird kaum wahrgenommen. Dabei nimmt der Staat rein Inflationsbedingt auch mehr Geld ein – warum das also nicht an diejenigen weitergeben, die es am dringendsten nötig hätten? Seit 2009 dann wurde der Satz regelmäßig erhöht, und zwar um mehr als die Inflationsrate, wahrscheinlich dank der guten Wirtschaftslage.

Naja, am Ende sieht man die durchschnittliche Inflationsrate der letzten Jahre sowie die durchschnittliche Steigerung des Regelsatzes. Nach einigen Jahren des Stillhaltens und einigen Jahren der Überkompensierung dürfte sich die Steigerung des Regelsatzes nämlich irgendwo dazwischen einpendeln – der Durchschnitt bietet eine gute Grundlage zum schätzen. Die Inflationsrate schwankt, liegt in Deutschland aber meistens bei 1-2 Prozent, von daher ist der Mittelwert hier auch recht realistisch für die Zukunft – trotz einer kurzfristigen Erhöhung wegen der Eurokrise.

Man kann das ganze jetzt benutzen, um die weitere Entwicklung zu projizieren.

die zukunft vorhersagen? magieeeeeee

So, warum jetzt diese Graphik? Eingezeichnet sind die Position der Grünen, die sich seit 2009 nicht verändert hat, und die Forderung der Linken (siehe ganz ganz oben). Erstere wollen 420 Euro, letztere 500. Warum tauchen keine anderen Parteien auf? Weil ich von keiner Partei konkrete Zahlen gesehen habe, und auf Anfrage haben mir nur die Grünen ihre 420 bestätigt. (Die Piraten arbeiten noch an ihrer Position.) Ich nehme mal stark an, die anderen möchten den Satz Jahr zu Jahr verhandeln, je nachdem, wer grad mehr Macht hat, wieviele Leute protestieren und wie der Haushalt ausschaut.

Jetzt kommt von eher wirtschaftsnaher Seite gerne das Argument, eine Erhöhung auf 420 (und erst recht 500) Euro wäre katastrophal teuer. Newsflash: Früher oder später wird es auf 420 Euro hinauslaufen. Wenn die Grünen, sagen wir mal, 2013 gewinnen, und es schaffem, sofort eine Erhöhung zu verabschieden, die pünktlich 2014 in Kraft tritt – es wäre nur noch eine Erhöhung um 33 Euro, denn der Satz würde wahrscheinlich sowieso auf 387 Euro steigen, egal, wer gewählt wird. 2009 wären es noch saftige 61 gewesen, also knapp das doppelte.

Noch schlechter sieht die Bilanz aus, wenn man die Steigerung mit der Kaufkraft von 2005 vergleicht. Mit der zu erwartenden Inflation für 2013 würde der Satz von 2005, immer brav an die Inflation angepasst, bei 401 Euro liegen. Das sind ganze 19 Euro Steigerung im Vergleich zu 2005, also knapp 2 Euro pro Jahr, ogott ist das radikal, die Kommunisten!

Spätestens 2017, also am Ende der Legislaturperiode, wäre es dann zu spät – ein Regelsatz von 420 würde unter dem Satz von 2005 plus Inflation liegen. Und selbst wenn Angela Merkel ihre Schwarz-Gelbe Koalition fortsetzen kann, dürften wir bis etwa 2020 einen Satz von 420 Euro erwarten. Und wir reden hier nicht von Zahlen, die am Ende eines Kompromisses entstehen, sondern von Zahlen, mit denen die Grünen in Verhandlungen gehen würden – es könnten also auch gut 410 Euro zum Jahre 2015 rauskommen, was dann kaum noch unterscheidbar wäre von der bisherigen Anpassungsrate.

Wer also eine wirklich radikale Änderung will beim Regelsatz, der muss leider die Linke wählen. Denn 500 Euro sind die einzige spürbare Kaufkraftveränderung.

Alle anderen täten gut daran, sich mal eines zu merken: 420 Euro als Hartz IV Regelsatz sind nicht radikal, sie sollten Minimalkonsens sein. Ein Minimalkonsens, mit dem eine dezidiert linke Partei als Forderung in den Wahlkampf geht. Und ohne eine langfristige Inflationsanpassung wird sich die Lage sehr schnell wieder verschlechtern, egal wie hoch am Ende eine Erhöhung des Satzes ausfällt. Das aber will niemand von den “Volksparteien” riskieren – weil man möchte ja gerne flexibel sein und bei Bedarf Arbeitslosen das Essen kürzen, um den Haushalt zu sanieren.

P.S.:

Die Bundesarbeitsagentur hat sich mittlerweile auch zu Wort gemeldet und fordert eine Reform. Die Bürokratie hätte gerne einen Bürokratieabbau – Sachen gibts. Interessant sind die Zahlen zu den bisherigen Ausgaben, von 2005 bis 2012:

KUCHEN

Eine Erhöhung des Regelsatzes würde also etwa die Hälfte der Gesamtausgaben betreffen, während es ordentlich Spielraum für Kürzungen gibt in der Verwaltung oder auch bei Umschulungen.

 

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2 thoughts on “Warum will eigentlich niemand eine echte ALG II Erhöhung?”

  1. huhu
    und der satz muss steigen so geht das nicht weiter bin permanent pleite.
    Hartz 4 muss eh abgeschafft werden. Und wie

     

Juhu! Jemand, der nicht bei facebook kommentiert! Oldschool!