Wie mir das grad auf den Sack geht

Ich habe jetzt einige Wochen was schreiben wollen, wirklich, aber die aktuell präsenten Themen gehen mir richtig auf die Nerven. Es hat mich schon lange nicht mehr so sehr deprimiert Nachrichten zu lesen. Continue reading Wie mir das grad auf den Sack geht

 

Flattr this!

Jede “Wahrheit”…

In der Türkei gibt es ein Problem mit der Meinungsfreiheit. Wer die Regierung oder gar das Militär kritisiert, begibt sich auf schwieriges Terrain; wer sich dabei mit den Kurden beschäftigt, der hat Probleme, und wer nicht nur das tut, sondern auch jedes andere “schwierige” Thema in der Türkei abarbeitet, der ist entweder lebensmüde oder sehr mutig und von seiner Arbeit überzeugt. Wer nun auch noch die ganze Zeit über mit “sie” hätte angesprochen werden müssen, der (bzw die) hat eben noch eine ganze Reihe Probleme mehr, denn schon die Tatsache, dass eine Frau sich mit solchen Themen beschäftigt, ist ein Politikum an sich (wenn auch kein so großes wie in früheren Tagen). Die taz porträtiert Pina Selek, um die es hier die ganze Zeit geht.

An einem Tag im Jahre 1998 wendete sich für Pinar Selek das Leben unwiderruflich. Die Soziologin, Schriftstellerin, Friedensaktivistin und Feministin rutschte in ein nicht endendes Dilemma. Wer einmal in das Räderwerk der türkischen Justiz gerät, kommt schwer wieder heraus.

[...]

die Türkei ist ein Land, in dem offene Worte Gefängnis bedeuten können, und immerhin kommt sie aus einer politisch engagierten Familie. Der Großvater war Abgeordneter einer linken Partei, ihr Vater, ein bekannter Anwalt, saß wegen seiner Regimekritik fünf Jahre im Gefängnis. "Ich bin aufgewachsen vor den Türen eines Gefängnisses. Für mich war das normal." Dennoch war sie von den Ereignissen nach der Explosion völlig überrascht.

Ob sie naiv gewesen sei? Sie habe die Kraft ihrer Arbeit unterschätzt. "Ich habe wegen meiner Texte damit gerechnet, vielleicht mal festgenommen zu werden", sagte sie. Das schreckte die junge Frau nicht. "Aber als Terroristin abgestempelt zu werden? Nein, das konnte ich nicht vorhersehen." Man denkt ja stets, ein schlimmes Schicksal träfe ausschließlich die anderen. Selek bildete da keine Ausnahme.

Am Tag der Explosion wurde Seleks Weltordnung unrettbar erschüttert. Bei ihrer Festnahme und während der unter Folter stattfindenden Verhöre seien ihr keine Fragen im Zusammenhang mit der Explosion gestellt worden. Erst nachdem sie einen Monat in Untersuchungshaft saß, erfuhr sie aus dem Fernsehen, was ihr vorgeworfen wurde. Sie soll als Sympathisantin der PKK einen Sprengsatz am Eingang des Gewürzmarkts gelegt haben.

Selek hatte die Vorwürfe stets bestritten und betonte, sie habe sich als Soziologin mit der PKK beschäftigt, sei aber nie Mitglied gewesen. Der Prozess war von Beginn an geprägt von Ungereimtheiten. Ein angeblicher Komplize zog während des Verfahrens seine Aussage zurück, da diese unter Folter von ihm erpresst worden sei. Das Gericht ließ immer wieder neue Sachverständigengutachten anfertigen, die aber stets dasselbe Ergebnis lieferten: Ursache der Explosion in dem Basar sei eine geplatzte Gasflasche gewesen, keine Bombe. Es gab keine Zeugen, keine Komplizen, keine Beweise: Es gab nur diesen Verdacht, und der reichte aus, um Selek für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis zu stecken - in eine Zelle mit 70 anderen Frauen. Während dieser Zeit wurde sie auch gefoltert.

[...]

Erst nach dem siebten Gutachten, das auch zu dem Ergebnis kommt, die Explosion sei durch eine defekte Gasflasche verursacht, sieht ein Revisionsgericht ihre Unschuld als erwiesen an. Im Dezember 2000 wird sie aus der Haft entlassen. Aber seitdem sie das Gericht 1998 verurteilte, wird sie das Stigma nicht mehr los, mit Terroristen zu sympathisieren. Es hat sich an ihren Namen geheftet und gibt ihn nun nicht mehr frei. Und weil sie sich nicht ruhig verhält, so wie ihre Gegner es wollen, weil sie weiter kritisiert, wird versucht, ihr immer wieder das eine Vergehen zu unterstellen.

Man darf - bei aller Kritik an übertriebener Türkeikritik - nicht die Probleme vergessen, die gerade mutige Intellektuelle in der Türkei haben. Meist können diese Probleme geringer werden, wenn es internationale Aufmerksamkeit gibt, denn die Türkei ist oft um ihr Image in der Welt mehr bemüht, als um die Durchsetzung der Rechte von Minderheiten. Hingucken und über die Probleme aufklären kann helfen!

Achja, bevor ichs noch vergesse - die im Artikel erwähnte Hürriyet gehört laut Wikipedia (das sich wiederrum aufs Managermagazin bezieht) zum Pressekonzern Doğan, und an diesem hält wer 25%? Na?

Genau, unsere liebe Axel Springer AG.

Denn jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht, gell?

 

Flattr this!