Online-Wahlen sind undemokratisch

Ich bin wahrscheinlich “netzaffin”. Also unter 30 Jahren alt. Und nicht nur das – ich interessiere mich wirklich für Netzpolitik und halte viel von einem freien, unüberwachten Internet, ja, ich verfolge sogar das traurige Schauspiel, was deutsche Politiker für Netzpolitik halten. Und wisst ihr was? Ich halte das Internet trotzdem für denkbar ungeeignet, um Wahlen damit durchzuführen.

Aber Politiker müssen ja regelmäßig wieder damit kommen. Das Internet und die Technik sind ein Allheilmittel; da muss es entweder elektronische Wahlmaschinen oder Wahlen über das Internet geben. Der neueste Vorschlag dazu kommt nun aus Bayern – Markus Söder hält es für anachronistisch, nicht an Internetwahlen zu glauben. Im Gespräch mit der Welt sagt der Herr:

Söder: Wenn Online-Banking möglich ist, kann auch Online-Voting machbar sein, das heißt die elektronische Briefwahl. Neben der Stimmabgabe in der Wahlkabine oder der klassischen Briefwahl kann es auch möglich sein, seine Stimme in Form einer elektronischen Briefwahl abzugeben. Eine Vision ist, dass dies 2018 schon möglich ist. Dazu muss allerdings aus Sicherheitsgründen die Signaturen-Gesetzgebung noch vorangebracht werden.

Und er kriegt gleich Schützenhilfe, ein neues Verfahren soll eine sichere Identifizierung in Internet ermöglichen. Die “http://www.buergercloud.de” soll das möglich machen, und der Verein hat auf jeden Fall schon mal einen Preis für die hässlichste Homepage dieses Jahrtausends verdient (in ich eigentlich der einzige, der bei dem Namen an schwebende Burger denken muss?). Nur: Das löst kein einziges Problem.

Vertrauen ist so ne Sache…

Das Wählen auf dem Papier hat einige wichtige Vorteile. Man kann frei, anonym und trotzdem öffentlich wählen. Das heißt, die Identität kann relativ einfach überprüft werden, aber man kann schlecht feststellen, wie nun gewählt wurde. Und vor allem ist der Auszählungsprozess der Öffentlichkeit zugänglich: Jeder kann Wahlhelfer werden und sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass alles mit Rechten Dingen zugeht. Und ist das jetzt bei technischen Wahllösungen?

Die Papierwahl ist einfach: Ich habe ein Instrument (der Wahlzettel), einen Input (das Ankreuzen) und einen Output (ich gucke mir das Kreuz an). Da kann man sich nicht allzusehr drüber streiten (ein bisschen schon, wenn es etwa darum geht, ob Wahlzettel gültig oder ungültig sind, aber prinzipiell alles sehr einfach). Bei Wahlcomputern sieht das anders aus. Ich habe einen Input, d.h. ich tippe oder drücke etwas. Und das ist das einzige, was ich sehe.

Was mit meinem Input passiert, das weiß ich nicht. Das wissen im übrigen auch die Politiker nicht. Die Richter auch nicht. Die Ingenieure wissen ein bisschen was – sie kennen den mechanischen Teil. Aber irgendwann wird mein Input in eine Software eingegeben, also ein komplexes Programm, das aus Sicherheitsgründen nochmal komplexer wird. Am Ende gibt es dann den Softwarehersteller und ein paar Admins, die wissen, was mit dem Input passiert – und das sind die einzigen, die dann beurteilen können, ob der Wahlcomputer richtig zählt (außer natürlich es gibt Bugs, dann können nicht mal sie das, aber trauen wir dem Staat doch zur Abwechslung mal irgendwas zu). Ich kann es auch anders formulieren: Vorher konnte ich den Leuten vertrauen, die das Auszählen übernehmen, aber ich konnte auch selber hingucken. Mit Wahlcomputern muss ich allerdings einer kleinen Elite vertrauen, dass sie schon keine Fehler machen und auch keine Wahlergebnisse manipulieren.

Kann man sich anonym identifizieren?

Das gilt nochmal stärker, wenn ich nicht auf einzelne Wahlcomputer setze, sondern meine Computer gleich ans Internet schließe. Wer glaubt eigentlich noch, dass er wirklich anonym im Internet ist? Wenn man will, kann man so gut wie jeden identifizieren, das sollte spätestens die NSA Geschichte gezeigt haben (aber ganz ehrlich, wer erst da den Schuss gehört hat…).

Bei Wahlcomputern kann man noch Identitätskontrolle vom Wahlprozess trennen. Bei der Internetwahl dagegen wird es eigentlich immer eine Möglichkeit geben, jemanden zu identifizieren. Oder nutzt du, lieber Leser, einen geschützten Browser mit TOR? Nein? Tun 99% der Menschen auch nicht. Und wenn sie sich sogar mit ihrem Pass identifizieren, wird es schwierig, vollkommene Anonymität zu gewährleisten. Aber da müssen wir wohl noch warten, bis die Bürgercloud ihr Konzept auf der CeBit vorstellt.

Wichtiger wird aber die allgemeine Sicherheit. Wo es Internet gibt, gibt es Hacker. Das ist kaum vermeidbar, gerade in Zeiten steigender Auslands-Internet-Spionage. Um also ein wirklich sicheres System zu entwickeln, muss ich sehr, sehr viel Geld in eine halbwegs sichere Infrastruktur investieren (weil hey, es gibt wenige, die bereit wären, von beiden Seiten aus zu verschlüsseln). Eine einseitige Verschlüsselung ist nicht nur schwieriger, sie verstärkt noch einmal den vorhin erwähnten Effekt: Die Abhängigkeit von und das nötige Vertrauen in eine kleine Elite von Experten.

Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld

Was uns zum nächsten Punkt führt. Ein beliebtes Argument ist ja, dass Wahlen sehr sehr viel Geld verschlingen. Im Internet könnte man da bestimmt Ressourcen sparen! Falsch.

Die Technik muss entwickelt werden. Gute Server, die sicher sind, und gute Fachkräfte (Die Besten der Besten! Also die Leute, die einem die Geheimdienste vor der Nase wegschnappen…) kosten. Dauerhaft. Vielleicht sind am Ende die Betriebskosten sogar günstiger für Papierwahlen, aber die Anfangsinvestition wird nicht günstig. Und wenn man eh vorhat, beide Wahlformen parallel zu führen, dann wird das einfach nur teuer – ohne jede Einsparung.

Mal davon abgesehen, dass man in dem Fall im Zweifel mehr Hickhack hat, um die Ergebnisse der Briefwahl, der regulären Wahl und der Onlinewahl zusammenzuführen. Aber da kommen sie bestimmt auf eine gute Lösung!

Das Internet ist kein Volksfest

Jeder hat heutzutage Internet? Nein, eben nicht. Im Internet sind eher jüngere, besser Ausgebildete und Verdienende aktiv. Etwa drei Viertel der Deutschen nutzen das Internet; 25% nutzen es aber eben nicht. Eine Wahlbeteiligung von 75% könnten wir aber noch sogar analog hinkriegen… Das Internet könnte dabei helfen, genau eine einzige Gruppe stärker zu repräsentieren: Junge Wähler. Allerdings wählen die meistens nicht, weil es sie nicht interessiert und weil sie das Wählen nicht gewöhnt sind. Ob das Internet da helfen würde, bleibt zu bezweifeln.

Zusammengefasst heißt das, reine Onlinewahlen würden Leute vom Wahlprozess ausschließen, sie würden den Wahlprozess undurchsichtiger, undemokratischer und unsicherer machen. Und sie könnten auch mehr Kosten. Ob sie Anonymität gewährleisten können oder nicht, das bleibt abzuwarten; das ist immerhin der einzige Bereich, in dem eine Neuerung wie die Bürgercloud Fortschritte versprochen hat. Alles andere sind aber legitime Bedenken, und die kann man nicht einfach mit dem Argument zu Seite schieben “Internet ist Fortschritt! Und junge Menschen mögen das Internet!”.

Also lasst mich doch bitte weiter mein Kreuz auf Papier machen.

 

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2 thoughts on “Online-Wahlen sind undemokratisch”

  1. Schön ausgeführt.

    Allerdings sollte man im Hinterkopf behalten, dass so ziemlich alle Probleme des elektronischen Wählens auch schon bei der Briefwahl auftreten können. Auch da gibt es letztlich keine absolute Garantie oder Nachprüfbarkeit, dass die im Wahlzentrum angekommene Stimmzettel wirklich dem Willen eines konkreten Wählers entsprechen. Gab da ja auch in Deutschland Skandale, etwa beim CSU-Wahlbetrug in Dachau 2002. Von daher stellt sich die Frage, ob man mit einer namentlichen Anmeldung in einem Online-Wahl-Register und der tatsächlichen Wahl via Wahl-TAN wirklich schlechter fahren würde, als jetzt mit der Briefwahl.

    Zum Glück gibt es nicht wirklich Handlungsbedarf. Wahllokale und Briefwahl sind vielleicht nicht hip, aber sie funktionieren insgesamt ziemlich zuverlässig und mindestens so gut wie die Alternativen.

     
    1. Nuja, Betrug ist in jedem System möglich. Der Unterschied zwischen analog und online wäre diesbezüglich ja, dass man (theoretisch) auch als Bürger überprüfen kann, ob Betrug stattfindet (da liegen Briefwahlen irgendwo zwischen der Urne und dem Wahlcomputer) und in welchem Ausmaß Betrug stattfinden kann (und da eröffnen Wahlcomputer/Onlinewahlen ganz neue Möglichkeiten).

       

Juhu! Jemand, der nicht bei facebook kommentiert! Oldschool!