Der Schlüssel zu Afghanistan liegt in Pakistan

Der Nato-Einsatz in Afghanistan feierte vor kurzem ein Jubiläum – 10 Jahre ist es her, dass internationale Truppen in das Land einmarschierten, um die Taliban und Al Qaida zu vertreiben. 10 Jahre, in denen einiges passiert ist; aber auch 10 Jahre, in denen essentielle Probleme nicht aus der Welt geschafft wurden. Zeit also, sich über die Zukunft des Landes Gedanken zu machen.

Wenn die ausländischen Truppen nun das Land verlassen, hinterlassen sie Gutes wie Schlechtes. Afghanistan hat heute eine bemerkenswert freie Presse; zahllose Schulen wurden gebaut, für Mädchen wie für Jungen, und einige Gebiete sind friedlicher geworden. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten ist so etwas wie eine Wirtschaft zu erkennen. Und die Menschen können in einer formal existierenden Demokratie wählen, in der sogar Frauen im Parlament sitzen.

Die Kehrseite der Medaille besteht aus einem weiter andauernden Krieg, einem an demokratischer Legitimität verlierenden Präsidenten, einer an Korruption darbenden Wirtschaft und zahllosen Anschlägen auf Schulen wie demokratische Institutionen, letztere im übertragenen Sinne bei weitem nicht nur von den Taliban.

Eine der zentralen Herausforderungen besteht nun darin, genau diese Probleme und noch einige mehr zu lösen; wie man aber schon bald feststellen wird, ist kaum eines dieser Probleme in einem rein afghanischen Kontext zu lösen. Immerhin wurde von amerikanischer Seite die Notwendigkeit erkannt, von der Af-Pak-Region zu sprechen und diese möglichst als eine Einheit zu begreifen – aber noch wurden weder dieser Dualismus ausreichend berücksichtigt noch die sonstigen Akteure in der Region eingebunden.

Die erste Erkenntnis, die vor jeder erfolgreichen Afghanistan-Strategie stehen muss, ist die zentrale Rolle Pakistans. In beinahe jedem Bereich, in dem Afghanistan Hilfe benötigt, führt kein Weg an Pakistan vorbei.

1) Wirtschaft

Wenn wir über die Taliban reden, dann dürfen wir nicht den Fehler machen, sie mit konventionellem Kriegsverständnis analysieren zu wollen. „Die Taliban“ gibt es nicht – neben den organisierten Taliban gibt es noch verschiedene kriminelle Gruppen, deren Aktionen unter diesen Begriff gefasst werden. Wir müssen unterscheiden zwischen ideologisch motivierten Kämpfern und von wirtschaftlichen Zwängen getriebenen Kämpfern.

Um letztere zu bekämpfen, ist es am sinnvollsten, eine funktionierende, nicht korrupte Wirtschaft aufzubauen. Dazu muss der Drogenhandel bekämpft werden – das aber geht nicht ohne pakistanische Hilfe, denn während der Anbau in Afghanistan stattfindet, laufen Verkauf und Verarbeitung in Pakistan ab. Für eine effektive Anti-Drogen Strategie muss also Pakistan eingebunden werden – es müsste den Drogenhandel auf eigenem Boden bekämpfen und die Grenzen zu Afghanistan effektiv schließen. Das aber wird nicht funktionieren, solange nicht sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan finanzielle Alternativen geboten werden. Solange in Pakistan ein Bedarf besteht, wird es in Afghanistan Drogenanbau geben.

Aber das würde vor allem den Taliban den Geldhahn abdrehen; es schafft noch keine Jobs und Zukunftsperspektiven für Afghanen. Um dies zu erreichen, muss eine einheimische Industrie geschaffen werden. Diese benötigt einen Absatzmarkt, Transportrouten und muss konkurrenzfähig bleiben.

Für all das ist Pakistan mit seiner riesigen Grenze zu Afghanistan zentral; als einzige Anbindung Afghanistans zum Meer und als potentieller Absatzmarkt wären Straßen nach und Handelsabkommen mit Pakistan zentral für eine afghanische Wirtschaft. Auch Nahrungsmittel, die oft gebraucht werden, müssen hauptsächlich über Pakistan beschafft werden. Und der Großteil der Produkte, die Afghanistan überschwemmen und einheimische Produkte unterbieten, wird von Pakistan aus herangeschafft. Sowohl Schutzzölle als auch jede Industrie benötigen also pakistanische Kooperation.

2) Militärisch

Neben dem genannten Austrocknen lassen der Taliban können militärische Erfolge nicht ohne pakistanische Hilfe erzielt werden.

Das Grenzgebiet zu Pakistan ist Rückzuggebiet für die Taliban; sie können sich dort organisieren und neu aufbauen. Es ist gleichzeitig ein Rekrutierungslager – nicht nur pakistanische Paschtunen und begeisterte Islamisten kann man anheuern, sondern auch mittellose, perspektivlose afghanische Flüchtlinge.

Eine effektive Strategie des pakistanischen Militär würde also die Taliban ihrer Rückzugsräume und ihres Hauptpools für neue Rekruten berauben; ein wichtiger Schlag, der aber kaum kommen wird. Zum einen, weil Pakistan gezeigt hat, dass es kaum in der Lage dazu ist, die Taliban wirklich zu besiegen, zum anderen aber auch, weil der politische Wille fehlt.

Im Gegenteil – es ist wahrscheinlich, dass der pakistanische Geheimdienst ISI bis heute Gelder und Material an die Taliban liefert. Man kann davon ausgehen, dass es bis heute Kontaktmänner hat und sogar Einfluss nimmt auf Entscheidungen innerhalb der Taliban – in welchem Ausmaße aber ist nicht bekannt und umstritten. Und Islamabads Einfluss, wenn denn ein politischer Wille existieren würde, auf Aktivitäten des ISI ist begrenzt; jede „pakistanische Afghanistan-Strategie“ müsste sich an verschiedene Akteure richten, unter anderem direkt an das ISI.

3) Innenpolitisch

Sogar für afghanische Innenpolitik ist Pakistan zentral. Islamabad hat einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch schwer festzustellenden, Einfluss auf interne Angelegenheiten.

Zum einen wurde Jahrzehntelang der Wahabbismus auf verschiedenste Arten gefördert. Saudisches Geld spielte da ebenso eine Rolle wie pakistanisches – wichtiger aber war Pakistan als primäres Transferland für jede solche Zahlung. Auch heute noch stammen Gelder für radikale islamische Gruppen meist aus Islamabad oder werden von Islamabad vermittelt, auch wenn Washington öfter Teheran dafür verantwortlich macht.

Der Wahabbismus aber ist weitestgehend gescheitert. Zentraler ist bis heute die Nähe der afghanischen Bevölkerung zur pakistanischen, zumindest in kultureller Hinsicht bei den Paschtunen. Pakistanische Ideen strömen sehr schnell über Filme, Bücher und Menschen nach Afghanistan – eine ideologische Bekämpfung des Islamismus, auch wenn sie als Herkulesaufgabe wahrgenommen wird und deshalb kaum verfolgt wird, müsste zu allererst in Pakistan ansetzen.

Und zwar zum einen beim pakistanischen Islamismus, zum anderen, und konkreter, in den Flüchtlingscamps. Ersterer befördert Extremismus in Afghanistan, letztere sind oft sich selbst überlassen und bieten ideale Bedingungen für Hassprediger. Eine vernünftige Alternative zum Bildungserwerb wäre nötig – Lehrer und verstärkte humanitäre Hilfe. Damit das alles aber ankommt, muss Pakistan einwilligen, ja sogar kooperieren.

Das sind die zentralen Bereiche, in denen Pakistan aktiv werden könnte, um Afghanistan zu helfen. Nun ist aber Pakistan nicht bereit oder in der Lage gewesen, hier wirklich zu helfen, was uns zur zweiten Erkenntnis führt:

Der Afghanistan Krieg ist primär ein regionales Problem, und er kann nicht beendet werden ohne regionale Mächte einzubinden und ihre Sicherheitsinteressen abzuwägen.

Die wohl zentralen Mächte in der Gegend sind Pakistan, Iran und Indien.

Pakistan wurde bereits zur Genüge behandelt; aber ein Grund, warum Pakistan nicht ausreichend eingreift, ist, neben seinen mangelnden Kapazitäten, die Angst vor den anderen Nachbarn. Pakistan hat seit je her eine Rivalität zum Iran wie zu Indien – in letzterem Fall gab es gleich mehrere militärische Eskalationen.

Was Pakistan nun fürchtet, ist ein instabiles Afghanistan, in dem einer seiner Erzrivalen die Macht übernimmt. Zwei Motive bestimmen also Pakistans Handeln – Angst vor den Rivalen und mangelndes Vertrauen in den Afghanistan Einsatz.

Um Pakistan dazu zu bringen, sich verstärkt für Afghanistan einzusetzen, muss also klar gemacht werden, dass der Einsatz mit voller Entschlossenheit und realistischen Erfolgsaussichten geführt wird. Ein vorzeitiger Abzug ohne realistische Exit-Strategie würde aber genau das Gegenteil bewirken.

Außerdem müssen vertrauensbildende Maßnahmen insbesondere zwischen Indien und Pakistan bewirkt werden – jedes Aufheizen dieses Konfliktes führt dazu, dass Pakistan die Taliban entweder mehr unterstützt oder seine Grenze zu Afghanistan unbewacht lässt, um sich auf Indien zu konzentrieren, was den Taliban entgegen kommt.

Wer also Afghanistan denkt, muss auch Pakistan denken; und wer Pakistan denkt, der versteht nichts, wenn er Indien außen vor lässt.

Indien hat, neben seinem Einfluss auf pakistanische Unterstützung der Taliban, viel mit Afghanistan zu tun. Als einer der größten Geldgeber in der Region und eine der stärksten Mächte ist es zentral für jeden Aufbau. Und es hat sich bereits in der Richtung engagiert; aber jedes Engagement Indiens für Kabul führt zu einem Engagement Pakistans für die Taliban. Indien stünde also vor der Aufgabe, eine Rhetorik zu finden, die pakistanische Sicherheitsinteressen mit afghanischen vereinbart; die Herausforderung der nächsten Jahre wird vor allem in den indisch-pakistanischen Beziehungen liegen.

Der Dritte im Bunde, dessen Rolle bis heute marginalisiert wird, ist der Iran.

Der Iran hat die zweitlängste Grenze zu Afghanistan und beherbergt die zweitgrößte Menge an Flüchtlingen; seine Bande zum Nachbarvolk über die gemeinsame Geschichte, Kultur und Sprache stehen denen Pakistans in nichts nach, im Zweifel sind sie sogar tiefergehend, weil Persisch die Sprache aller Minderheiten ist, während Paschto während des Krieges zunehmend „paschtunisiert“ wurde (in dem Sinne, dass es nicht als Nationalsprache unterrichtet werden konnte und als lingua franca damit weniger relevant ist als vor dem Krieg).

Der Iran hat von vornherein gegen die radikale sunnitische Ausprägung des Islams gekämpft, wie sie die Taliban vertreten; zum einen wegen deren Hass auf die Schiiten Afghanistans, zum anderen wegen deren Paschtunischem Nationalismus. Beides richtet sich gegen die Gruppen, die sich dem Iran am nächsten fühlen können – Persischsprachige und Schiiten.

Die Unterstützung für die Nordallianz hat Tradition im Iran, spätestens seitdem die Taliban iranische Diplomaten töteten. Auch ist der Iran an stabilen Grenzen zu Afghanistan interessiert, um Drogen- und Flüchtlingsströme zu vermeiden und einen möglichen Bündnispartner zu haben. Und auch wirtschaftliche Interessen sind von Bedeutung – schon heute ist der Iran ein wichtiger Handelspartner Afghanistans, gerade wegen der gemeinsamen Sprache.

Aber bisher wurde Teheran kaum eingebunden, denn die USA begreifen den Iran weiterhin als Feind. Ohne Unterstützung aus dem Iran aber wird eine Stabilisierung Afghanistans erschwert – jeder erfolgversprechende Ansatz muss ihn, neben Pakistan und Indien, zwingend einbauen.

Um einen wahren Frieden in der Region zu erzielen, muss man also alle diese Kräfte einbinden; Frieden in Afghanistan erfordert Stabilität in der gesamten Region, was nur durch eine gezielte Strategie und vertrauensbildende Maßnahmen erreicht werden kann. Hoffentlich wird sich diese Erkenntnis auch in Washington durchsetzen.

 

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2 thoughts on “Der Schlüssel zu Afghanistan liegt in Pakistan”

Juhu! Jemand, der nicht bei facebook kommentiert! Oldschool!