Heute vor einem Jahr – in einem meiner kürzeren Artikel lasse ich mich über die Grünen im Saarland aus und bekenne mich zu den vorsichtigen Skeptikern – also kein Ende der Grünen, sondern eine dumme Entscheidung in einem Bundesland. Und nun?
Die Grünen im Saarland treten für die Anti-AKW-Demos ein, haben sich bim CSD und bei den Schülerstreiks engagiert, kurz: Sie haben Oppositionsarbeit aus der Regierung heraus geleistet, ohne großartige überregionale Medienresonanz. Win-win. Bürgerlich sind sie damit nicht geworden; nur ihre Koalitionspartner und damit irgendwo auch ihre Politik.
Und sonst? Ist dieser Trend, wie damals befürchtet, bundesweit übergeschwappt? Nope, leider nicht, in NRW gibt es eine Rot-Grüne Minderheitsregierung, in Stuttgart (gehört ja fast nicht mehr zu Ba-Wü) wird soviel Opposition gemacht, dass sogar die SPD langsam was vom Kuchen abhaben möchte und vorsichtig ein von ihr unterstütztes Projekt kritisiert, während die Grünen sie in Umfragen überflügeln und wohl bei einer sofortigen Landtagswahl den erste Grünen Ministerpräsidenten stellen könnten. In Berlin gibt es währenddessen Chancen auf eine Grüne OB, und auch bundesweit wetteifern die Grünen mit schwer angeschlagenen Sozialdemokraten um Platz 2.
Oh mein Gott – hat jetzt wirklich ein Großteil der Bevölkerung Stricknadeln und Birkenholzsandalen ausgepackt und sich in Kommunen organisiert? Der Grund drüfte deutlich klarer sein – grün ist schick, grün zu sein ist so ähnlich, wie einen Mac zu kaufen. Also nicht den bei McDonalds, sondern den von Steve Jobs. Revolutionär, “underground”, aber nicht zu “underground” – also so sehr dass man davon gehört haben kann, aber nicht so sehr, dass es müffeln würde (wie einst). Achja, und um die SPD und Linke ist es schlicht so ruhig geworden. Vorbei die Zeiten, als groß über HarzIV debattiert wurde (jedenfalls als über “Schröders HarzIV” debattiert wurde), vorbei die Zeiten, als die straff organisierte, aber leider führungslose SPD mit der kaum organisierten, aber von 2 charismatischen Männern geführte Linke um die Meinungshoheit der deutschen Linken stritt und die Grünen zwischen die Räder gerieten.
Um die Linke ist es ruhig geworden; sogar der Afghanistan-Einsatz mag sie nicht mehr so richtig in die Medien brigen. Und die SPD ist noch immer mit sich selbst, mit ihren Flügeln beschäftigt; die Debatte um den Mindestlohn (die von der Linken kam!) war nur ein Strohfeuer, die großen Debatten sind nun Grüne Themen, ob Bildungspolitik, AKWs, S21, Polizeigewalt, Integration – überall sind die Grünen Mit- oder Hauptorganisatoren der Debatten und Demonstrationen. Dass die Konzepte noch entwickelt werden, dass sie oft nicht durchdacht sind, dass sie falsch verstanden werden – wen interessiert das? Alle anderen machen es den Grünen aber auch so einfach – die FDP hat ihre Glaubwürdigkeit schneller verpulvert als ich es mir hätte erträumen können (ja, jetzt kommt wieder vernünftiges, aber zu spät liebe Liberale, zu spät), die CDU hat sowohl ihren Nachwuchs als auch sich selbst verloren und verliert sich in leicht drollig wirkendem Konservativismus (S21: Wurde schon immer geplant, Polizeigewalt: Sind SPD und FDP auch für bzw gibt es nicht, Integration: Wulff ist zwar nett, aber idealistisch, falsche Kulturkreise sind bäh, oder, Herr Sarrazin?). Die Linke ist zu ruhig, und die SPD hat bei zu vielen dieser Themen ähnliche Standpunkte vertreten wie die CDU – Stichwort S21, Stichwort die damit verbundene Polizeigewalt, Stichwort Leitkulturdebatten die tlws von der SPD mitgetragen wurden, Stichwort Kohleenergie.
Gut, das ist nur ein kurzzeitiger Höhenflug. Hat man bei der SPD ja schon gesehen. Nur: Die hatte ihre Erfolge zwar auch aus der Schwäche aller anderen gezogen, sie hatte aber auch keine aktuellen Debatten, sie hatte nur (eingebildete?) Wirtschaftskompetenz während einer Wirtschaftskrise vorzuweisen. Die Grünen dagegen haben stets weniger zentrale, vergleichsweise unpopuläre Standpunkte vertreten – und genau diese sind nun relevant für das tagespolitische Geschehen. Egal, wie lange das noch so bleibt und wie sehr die Umfragewerte bei realen Wahlen zusammenschmelzen werden – letztlich werden diese Themen öfter wiederkehren, und die Grünen werden mit fertigen Programmen dastehen, anders als andere Parteien. Und mit mehr Publicity sowie durch diese mehr akzeptierten Standpunkten. Oder kurz gesagt: Vielleicht werden die Grünen nicht bürgerlicher, sondern die bürgerlichen Schichten werden grüner.