Wir haben die Kraft!

Gibt es eigentlich eine bessere Zeit um mit dem bloggen wieder anzufangen als nach der NRW-Wahl? Also nach der Wahl, die die Politik auf Bundesebene bestimmen wird, und nicht nur erst nach der Wahl, sondern die auch bisher bestimmend war; nach der Wahl, bei der zum ersten Male neue Regierungskoalitionen ausgelotet werden könnten, sei es Rot-Rot-Grün, sei es Schwarz-Grün mit einem deutlich linkeren Landesverband (und damit nach Hamburg und dem Saarland der endgültige Bruch mit Rot-Grün) – ja, diese Wahl ließ so einiges erwarten.

Die Wahlen waren deutlich polarisiert – auf der einen Seite stand da der “Arbeiterführer” Rüttgers, der der SPD ihr Stammland abgejagt hatte und sich bewusst sozial gab innerhalb der CDU. An seiner Seite, der traditionsbewusste Landesverband der FDP, im Heimatland Guido Westerwelles, der einst neuen Generation, die das Projekt 18 in Angriff nahm; der Verband aber auch, der als einziges Steuersenkungspläne der Bundes-FDP kritisierte und sogar vorsichtige Kritik am dreigliedrigen Schulsystem formulierte, das sie durch ein zweigliedriges nach Hamburger Vorbild zu ersetzen suchte. Schwarz-gelb in NRW und im Bundesrat – Rot-Rot-Grün verhindern war die Devise.

Auf der anderen Seite dann stand da die SPD mit ihrer unscheinbaren, eher unbekannten Kandidatin Hannelore Kraft. Die Partei also, die stets auf Personenwahlkampf setzte und erst kürzlich massive Verluste hinnehmen musste, schickte nun eine unverbrauchte, aber auch unbekannte Kandidatin ins Rennen. An ihrer Seite – die Grünen, einer der linkeren Landesverbände, die allerdings stets auch mit der CDU liebäugelten, auch, weil die Zusammenarbeit mit der SPD nicht immer klappte. Bundesratsmehrheit kippen hieß es da – und dann, hoffentlich, irgendwie, Rot-Grün, wenn die SPD, naja, vllt kommt noch die, naja, Wagenknecht, hmm, psst. So wirklich festlegen wollte man sich nicht.

Ach, und dann gab es noch die “Anderen”. Das wäre vor allem die Linke. Gefürchtet, radikal, fast nicht existent – für die einen ein Haufen von radikalen Spinnern, Trotzkisten bestenfalls, für die anderen Hoffnung und ein frischer Wind sowie eine im Bundestag etablierte Partei – mit dem Einzug der Linken würde die Mehrheit für eine linke Regierung entschieden werden. Daneben gab es dann noch die Piraten – jung, unverbraucht, und gerade bei jungen Städtern sehr beliebt. Und natürlich Pro NRW – Rechtsradikale im Gewande einer Bürgerbewegung, ein dünnes Gewand btw, wenn man sich Überläufer aus den Reihen der NPD anschaut, die sich da engagieren.

Die Grünen legten durch ein ganz nettes, aber eher enttäuschendes Ergebnis in den BT-Wahlen vor; die Zeichen standen aber gerade nach der Wahl auf Grün. Niemand konnte von der Oppositionsarbeit so sehr profitieren und ihr Profil schärfen – man könnte überspitzt anmerken, dass aus der Hippie-Protestpartei mehr oder weniger eine bürgerliche Protestpartei geworden ist. Die CDU verlor massiv dank ihres Regierungschefs – den Anfang machte da ein Video mit der berühmt-berüchtigten “Rumänenrede”, in der er Rumänen beschimpfte und das von JuSos verbreitet wurde. Eine ähnliche Rede gab es dann auch gleich über Chinesen. Wars das? Achwas, das ist schon ewig her und war nur der Auftakt in Rüttgers Pro-SPD-Wahlkampf. Skandal folgte auf Skandal – besonders bekannt ist die Geschichte um den Landesparteitag der CDU, bei dem Wirtschaftsunternehmen gegen Aufpreis nicht nur größere Stände, sondern auch einen persönlichen Besuch des Ministerpräsidenten als Bonus erhalten sollten. Kaum wurde das bekannt, wurde von Rüttgers Anzeige erstattet gegen Unbekannt – der interne mailverkehr müsse ausgespäht worden sein. Was als Ausweg gedacht war, galt scheinbar eher als peinlich. Kaum noch auffallen tat da die Initiative “Wähler für den Wechsel”, die 2005 anonyme Spenden für Rüttgers gesammelt haben soll – was verboten ist. Davon profitierte die SPD deutlich – konnte sie doch jetzt dabei zuschauen, wie Rüttgers sich selbst zerfleischte, und gelegentliche Attacken beisteuern. Taktisch klug ging sie dabei vor, gab sich selten Blöße – und wenn doch, dann war Rüttgers stets zu Stelle mit der nächsten dummen Bemerkung oder dem nächsten Skandal. Danke Herr Rüttgers, ohne sie wäre der heutige Tag so nicht möglich gewesen!

Die Linke hatte natürlich das Problem, überhaupt in den Landtag zu kommen; sie gilt nicht umsonst als chaotisch und zersplittert. Da werden die Bundestagswahlergebnisse mehr bewirkt haben als die eigene Organisation. Die FDP dagegen fand sich nun in einer ähnlichen Situation wieder wie die Grünen vor der Bundestagswahl – zwar ging es mit dem eigenen Umfrageergebnissen bergauf, aber dank der Schwäche des einzigen Koralitionspartners und dem weitestgehenden Ausschluss lagerübergreifender Koalitionen (Ampel) fand sie sich ohne realistische Regierungsoption wieder. Die Umfrageergebnisse vor der Wahl lauteten auch wie folgt:

Bundestag
Emnid CDU 34 % SPD 26 % Grüne 16% FDP 9% Linke 10% Sonst. 5%
Forsa CDU 34 % SPD 25 % Grüne 16% FDP 8% Linke 10% Sonst. 7%

NRW-Landtag

Emnid CDU 37 % SPD 33 % Grüne 12% FDP 8% Linke 5% Sonst. 5%
Forsa CDU 37 % SPD 37 % Grüne 10% FDP 6% Linke 5% Sonst. 5
GMS CDU 37 % SPD 33 % Grüne 12% FDP 7% Linke 6% Sonst. 5

Das Voräufige Ergebnis sieht nun folgerndermaßen aus:
Rot-Grün=90 Sitze

Herrliche Ergebnisse – Schwarz-Grün ist nicht möglich, Rot-Grün auch nicht. Möglich sind eine große Koalition und Rot-Rot-Grün sowie eine Tolerierung – in beiden Fällen aber ist die SPD trotz ihren Verlusten mit dabei. Der Einsatz von roten Plakaten hat sich also gelohnt – wo hatten die die eigentlich versteckt? Nur bitte nie nie wieder in pinker Farbe für Hannelore Kraft Werbung machen.

Egal, Schwarz-Gelb ist verhindert, der Rest Verhandlungssache – kommen wird zu einigen anderen interessanten Parteien. NPD – 0,7; BüSo – 0,0; Republikaner – O,3 – um die Rechten müssen wir uns also keine Sorgen machen. Auch Pro NRW, die mit ihren Großangekündigten Demonstrationen primär Tausende von Bürgern bei Aktionen gegen sie vereinten, errangen trotz großer Ankündigungen gerade einmal 1,4%. Das entspricht in etwa dem Rechtsradikalen Wählerpotential das normalerweile in NRW ausgenutzt wird und ist damit keine große Überraschung – sie sind und bleiben halt eine Splitterpartei. Dass aber die Piraten gerade einmal 1,5% erreichten, überrascht mich nach dem phänomenalen BT-Ergebnis schon – NRW ist immerhin stark urbanisiert und gerade in Städten hatten sie doch ihre Hochburgen. Schade, mit dem Signal für künftige Wahlen wird es doch nichts – gegönnt hätt ichs ihnen.

Tja, was gibts noch großartig zu sagen. Danke, Jürgen Rüttgers für die Demontierung der CDU, danke, Piraten, danke, Guido Westerwelle, für die Delegitimierung und Schwächung der FDP. Und freuen wir uns auf spannende Koalitionsverhandlungen.

 

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