Levante: Die neue Af-Pak Region

Afghanistan ist nicht der Irak. Diese Annahme klingt banal, war aber die Grundlage entscheidender policy-Entscheidungen: Unter Obama haben die USA von vornherein unterschiedliche Ansätze zz Bekämpfung des Terrorismus in beiden Ländern verfolgt. Mit dem IS aber nehmen die Parallelen zu.

Raus aus dem Irak, rein nach Afghanistan

Der Irakkrieg: Schon Schröder fand ihn qualitativ anders als den Afghanistankrieg. Ersterer ist schon mal ein Krieg, letzterer… Da mussten wir erstmal drüber reden. Und deutsche Soldaten durften uns am Hindukusch verteidigen, an den Euphrat durften sie aber nicht.

Der Irak: Das sei nicht Afghanistan. In Afghanistan, genauer: In der Af-Pak Region, ging es um Staatsversagen und Rückzugsräume für Terroristen. Im Irak dagegen kämpfte zunächst eine Armee gegen eine Armee, dann wurde es immer mehr zu einem Konfessionskrieg, vor allem aber kämpfte eine Zentralregierung gegen marginalisierte Gruppen.

Obamas Präsidentschaft hatte genau darum ein Ziel: Raus aus dem Irak, rein nach Afghanistan. Den Krieg beenden, den “humanitären” Einsatz verstärken, so die Rhetorik. Jetzt aber stellen wir fest: So unterschiedlich sind die Regionen gar nicht.

Schwache Staaten, starke Milizen

Entscheidend für die Eskalation im Irak war die Schwäche Syriens. Nach dem arabischen Frühling kam es zu Demonstrationen, nachdem diese niedergeschlagen wurden fing dann der bewaffnete Aufstand an. Das einzige Ergebnis, neben zahllosen Toten: Eine Unterminierung jeglicher Staatsgewalt. Stämme, aber auch sonstige bewaffnete Gruppen, füllten das Machtvakuum.

Damit ergab sich dann dieselbe Ausgangslage, die wir auch seit einigen Jahrzehnten in Afghanistan ebenso wie in den pakistanischen Grenzregionen haben: Keine Staatskontrolle führt zu weitgehender, autonomer Selbstverwaltung, und in dem Klima blühen beispielsweise paramilitärische Gruppen.

Ob Paschtunen oder Sunniten: Beide organisieren sich zunehmen selber zur Verteidigung, etwa entlang von Clanlinien, oder schließen sich anderen Gruppen an, die eben auch Dschihadisten sein können.

Mit der Schwäche der Staaten geht auch eine Durchlässigkeit der Grenzen einher. Gruppen wie der IS können problemlos in beiden Staaten operieren. In der Tat haben sie sich von Syrien aus wieder in den Irak ausgebreitet, nachdem sie ursprünglich im Irak an Unterstützung verloren hatten. Damit gehen sie ähnlich vor wie die Taliban; diese hatten sich nach dem Einmarsch der Amerikaner in Pakistan neu gruppiert und sind von da aus wieder nach Afghanistan vorgerückt.

Ressourcen ohne Ende

Was die Af-Pak Region außerdem bisher so einzigartig gemacht hat: Der Drogenhandel hat für eine stabile Einnahmequelle an Staaten vorbei gesorgt. Die von den Taliban gehaltenen Regionen sind sowohl für den Anbau als auch die Verarbeitung von Mohn bekannt. Dadurch hatten sie immer eine gute finanzielle Basis, und konnten nicht nur Ausrüstung kaufen, sondern auch arme Mensch mit guten Gehältern locken.

Dazu kam der Rekrutenpool: Die Flüchtlingslager in Pakistan mit Millionen Menschen, ohne Zukunft, oft in den Lagern geboren, wurden zu Rekrutierungsstellen. Viele junge Menschen, die wenig zivile Chancen haben, sorgen tendenziell für Unruhe, das hat sich auch im arabischen Frühling gezeigt.

Und zu guter Letzt: Mit den Verbindungen zu Geheimdiensten und Militär in Pakistan gab es auch ein stetiges Angebot an Waffen. So könnten die Taliban beispielsweise noch Stinger Abwehrraketen aus den 90ern haben, außerdem verkaufen afghanische Soldaten/Deserteure oft von den Amerikanern gelieferte Waffen.

In Syrien/Irak sind diese Punkte fast noch radikaler. Die IS bzw ISIS, hat Gelder in Milliardenhöhe erbeutet, die Miliz kontrolliert mittlerweile Ölfelder und braucht sich wohl um ihre Finanzierung vorerst keine Gedanken machen zu müssen. Die Sunniten sind marginalisiert und von der Zentralregierung enttäuscht, dazu kommen die allgemeine Unsicherheit und Millionen Binnenflüchtlinge, sowohl im Irak als auch in Syrien, denen IS Schutz und Geld bietet. Und dann sind da noch die zum Teil schweren Waffen, die die irakische Armee den Milizen überlassen hat, als die Soldaten sich zurückgezogen haben.

Eben nicht nur terroristische Netzwerke

Was IS ebenso wie die Taliban auszeichnet: Sie sind beides keine reinen Terrornetzwerke. Sie pauschal als Terroristen zu bezeichnen lässt sie harmloser erscheinen, als sie sind: Es geht eben nicht um lose Netze, die Guerilla-Techniken verwenden, sondern um sehr gut vernetzte, militante politische Gruppierungen.

Die Taliban haben beste Kontakte zu pakistanischen Geheimdienstler. Der ISI hat die Taliban mit aufgebaut und scheinbar die Kontakte nie ganz aufgegeben – über solche Kanäle sollen die Taliban an Waffen, teilweise sogar an Informationen gekommen sein. Außerdem sind sie gut vernetzt mit lokalen Machthabern, also paschtunischen Stämmen und lokalen Warlords, mit denen sie sich verbünden.

So ähnlich agiert auch IS. Ihre Kontakte zu ehemaligen irakischen Offizieren helfen ihnen enorm. Kampferprobte Dschihadisten, geleitet von ausgebildeten Militärs, haben einen großen Vorteil gegenüber einer relativ jungen, kaum erprobten Armee mit geringer Moral. Dazu kommt ihre Vernetzung mit – ja – lokalen Machthabern, wie sunnitischen Warlords und Machthabern.

Beide Gruppen bauen außerdem diese Netzwerke aus – substaatliche Strukturen bilden sich aus, und je stabiler diese werden, desto stärker wird die Machtbasis beider Gruppierungen.

Internationale Verwirrtheit

Und dazu kommt dann das Fehlen einer koordinierten internationalen Strategie. In Afghanistan krankt die Strategie der USA daran, dass lokale Mächte kaum mit ihnen kooperieren und eigene Interessen verfolgen. In Syrien wiederum werden Islamisten, sonstige Aufständische und Regime jeweils von einem Teil der Mächte unterstützt, von allen anderen aber bekämpft. Katar, die Türkei, der Iran und die USA unterstützen verschiedene Gruppierungen; so verliert zumindest keine davon, übers Gewinnen brauchen wir gar nicht erst sprechen.

Der gemeinsame Nenner in beiden Konflikten ist übrigens, neben den USA, der Iran. Beide Nachbarn (Irak, Afghanistan) des Landes haben eigentlich mit Teheran verbündete Regierungen, die gegen zutiefst Iran-feindliche Milizen kämpfen. Der Iran hat ein zentrales Interesse daran, die Aufstände zu beenden.

Ähnlich geht es den USA – trotzdem kooperieren die beiden bislang kaum, aus Tradition, wenn man so will.

Was sagt uns das jetzt

Beide Konflikte werden sehr, sehr lange anhalten, immerhin gibt es keine schnelle Möglichkeit, die genannten Punkte zu verändern. Die Lösungsansätze für beide Konflikte werden aber ähnlich sein:

Regionale Koordination, unter Einbindung des Irans, ein Austrocknen der Geldquellen, also Drogenhandel und Ölschmuggel, eine stärkere Kontrolle der Waffenlieferungen, eine Einbindung lokaler Machthaber (indem pakistanische Sicherheitsinteressen ebenso wie die Marginalisierung der Sunniten thematisiert werden) sowie ein Staatsaufbau, der Zivilisten eine Chance gibt.

So viele Baustellen, in gleich zwei Regionen – mein Pessimismus wirkt dann doch nicht so zynisch, sondern eher realistisch.

 

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2 thoughts on “Levante: Die neue Af-Pak Region”

Juhu! Jemand, der nicht bei facebook kommentiert! Oldschool!