Il y a 53 ans, Camus est mort. Ou peut-être…

Wäre er noch am Leben, würde Camus heute 100 Jahre alt. Da muss ich doch ein paar Worte über einen Autor verlieren, der mich wie kaum ein anderer beeinflusst hat.

Meine Begegnung mit Camus war das Ergebnis einer (philosophischen) Selbstfindungsphase. Während meiner Adoleszenz kannte ich fast nur die klassischen Denker, logischerweise, denn immerhin waren sie Teil des Lehrplans und ich kam kaum darum herum, sie zu lesen. Das Problem mit ihnen: Sie zerstörten nach und nach die Welt, die ich (so wie die meisten Menschen) für selbstverständlich hielt. Was sind Moral, Vernunft, Gesellschaft, wenn nicht arbiträr, unmöglich zu erfassen und daher unnütze Kategorien?

In ihrer Kritik hatten die Klassiker zwar recht, aber sie ersetzten das alte Weltbild nie durch ein neues. Natürlich hatten sie ihre Visionen; Plato, Hobbes und Locke beschreiben detailliert einen Staat, Aristoteles und Kant erklären, wie Vernunft funktionieren kann, Schopenhauer und Nietzsche skizzieren sogar eine neue Ethik. Aber das meiste, was sie neu schufen, ist an ihre Zeit gebunden, es war mir nie genug, nie zufriedenstellend.

So saß ich als Teenie als in meiner platonischen Höhle, während mir die Denker von dem Licht erzählten, mir aber nicht den Weg zeigen konnten. Ich brauchte eine realistischere, eine politische Philosophie. Das Abstrakte reichte mir zum dekonstruieren, aber ich brauchte mehr Konkretes zum kreieren. An diese Stelle trat der Existentialismus, trat Sartre.

Der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein. (Sartre: Der Existentialismus ist ein Humanismus)

“Der Existentialismus ist ein Humanismus” – selten hat ein Titel ein Buch, ja, ein Menschenleben so gut zusammengefasst. Es gibt keine “menschliche Natur”, der Mensch ist frei, aber deshalb auch verantwortlich für sich selbst, für das, was er tut. Die Irrelevanz Gottes macht den Menschen verantwortlich, sie lähmt, aber befähigt gleichzeitig zum Handeln. Allein: Sartre war ein Wichtigtuer mit einem Hang zu schrecklichen Formulierungen, ein Mann voller Widersprüche und, in vieler Hinsicht, Dogmatiker. Es sollte nur eine kurze Affäre bleiben mit uns beiden.

Das war der Hintergrund, vor dem ich zum ersten Mal den Fremden las. Alle Sicherheiten waren erschüttert worden, und ich suchte nach Gründen, überhaupt irgendetwas zu tun. Es gibt keine Gerechtigkeit, nichts Objektives, und das Ding an sich – wir können es niemals erreichen. Kant muss die Tragik dieses Gedankens entgangen sein (wahrscheinlich war sie ihm egal).

Es kulminierte für mich übrigens in dem Gedanken (den ich bei Murakami regelmäßig finde), niemandem jemals nahe sein zu können. Egal, was wir tun, im Prinzip sind wir nicht anders als Neo in der Matrix: Eingebunden in einen Kokon aus Sinneseindrücken und Vorannahmen. Bestenfalls können wir uns, blinden Würmern gleich, an andere drängen, hoffend, das wir die Welt erraten können.

Aber zurück zu Camus: Der Fremde beginnt mit der Bemerkung, dass die Mutter des Protagonisten gestorben ist. Wobei er gar nicht weiß, wann genau, und wirklich wichtig ist es ihm auch nicht. Das Hauptmotiv ist die Entfremdung. Dem Protagonisten passieren Dinge, aber er erlebt sie nicht, und er fühlt sie ganz sicher nicht. Es gibt die Außenwelt, aber sie hat nur äußerst indirekt mit der Innenwelt zu tun. Mit anderen Worten: Camus holte mich genau da ab, wo ich gedanklich stand.

Mit seiner einfachen, präzisen und doch einfühlsamen Sprache fesselte er mich. Das Buch hat genau zwei überraschende Momente. Erst eskaliert die Situation mit dem Mord an einem Araber, unerwartet, bis zum Schluss unerklärt (das Schicksal passiert, es gibt keinen Grund, Passivität ist naheliegend). Und dann, als das Buch fast schon vorbei ist, kommt es zu einem (verbalen) Ausbruch des Protagonisten, mit einer vollkommen neuen sprachlichen Intensität. In Angesicht des Todes entfaltet sich doch, zu guter Letzt, ein kreatives Moment, ein Akt des (symbolischen und sinnlosen) Aufbegehrens. Der Tod ist die Keimzelle menschlichen Handelns – kein neuer Gedanke, aber selten hat er mich so sehr berührt und überzeugt wie im Fremden.

Menschliches Handeln im Angesicht des Todes, der Vergänglichkeit, der Sinnlosigkeit – das bleibt ein wichtiger Gedanke, den er im Mythos des Sysiphos weiterentwickelt. Die wohl berühmteste Stelle daraus:

Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jeder Gran dieses Steins, jedes mineralische Aufblitzen in diesem in Nacht gehüllten Berg ist eine Welt für sich. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen. (Camus: Der Mythos des Sisyphos)

Das Bild hat etwas wunderschönes. Die Welt ist düster, deprimierend, sinnlos und erschließbar. Das Schicksal in unentrinnbar. Aber die Konzentration auf das kleine, das Erkennen der eigenen Unzulänglichkeit, vor allem aber die Erkenntnis des Alleinseins wird zum Drehpunkt für einen kreativen Prozess. Der Mensch erreicht etwas um seiner selbst willen. Er tut etwas um der Sache willen. Die Wertigkeit von Bemühungen wird, nein, kann nicht an ihrem Erfolg gemessen werden, sondern nur daran, ob man sie auf sich nimmt, oder nicht. Jeder muss nach seinem Gipfel, nach seinem Stein suchen.

Das wohl literarisch schönste Buch von ihm, die Pest, illustriert all das. Seine Pest ist hässlig, grausam, sinnlos. Und gleichzeitig entfaltet sich die Menschlichkeit. Camus lebt dabei auf als Autor; einfühlsam beschreibt er die Charaktere, subtil weist er auf seine Philosophie hin, und am Ende bleiben Fragen, keine Antworten (die es bei Sartre zur Genüge gab).

Camus’ Denken hilft mir regelmäßig, die Welt anzuschauen und über ihre Absurdität zu lachen, ja, sie willkommen zu heißen, denn sie ermöglicht es mir, zu handeln, zu leben und zu denken. Absurd war auch sein Tod: Er ließ sich überreden, nicht Bahn, sondern Auto zu fahren. Das Auto verunglückte, und er starb im Alter von 46 Jahren. Erst viel zu spät wird er heute als der große Denker und Literat gewürdigt, der er war.

 

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