Der Tag, an dem das „wir nicht“ entschied

Zur Wahl gehen. Was fürn Blödsinn. Da geht man alle vier Jahre an die Urne, damit sich doch nix verändert. Belogen und betrogen wird man da, immer wieder aufs neue. Schwarz-Gelb, Rot-Grün, große Koalition…am Ende doch immer derselbe Betrug im anderen Gewand. Nein Danke, sag ich da. Ich klinke mich aus. Ich protestiere! Meine Stimme behalte ich, um sie zur Kritik zu erheben! Dann werden die da oben vielleicht mal sehen, dass es so nicht weitergeht.

Und ich bin ja nicht alleine. Fast alle, die ich kenne, gehen nicht zur Wahl. Nichtwähler und stolz drauf, das lob ich mir. Gemeinsam gegen alles. Alle machen sie Fehler. Und gegen die Radikalen kann man auch anders vorgehen. Jaja, immer dieses Gerede, Wahlbeteiligung sei gut gegen die Nazis und die Kommies und so weiter, vorausgesetzt man wählt die nicht, sondern die anderen.

Ich hingegen wähl keins davon. Skylla oder Charybdis? Ich machs wie Änäas und fahr anders rum, Ha! Ich bin enttäuscht von unserer Politik, acht Jahre Merkel sind einfach nur zermürbend. Vier Jahre mit schwarz-Gelb und nix als Stillstand, und das dem Wähler – dem Wähler, aber nicht mir – als „vier gute Jahre“ verkaufen.

Und Steinbrück? Auch nicht besser! Der tut dann so, als ob er der Heiland wäre, der mit dem Gesocks aufräumt und die Fehler seiner Partei in der Vergangenheit bereinigt. SO nicht, mein Lieber, so nicht!

Wahlabend – tja, ich bin wohl echt nicht allein auf der Welt. In der Tagesschau hieß es gerade, dass mindestens 50 % der Wahlberechtigten zu Hause geblieben sind – hey, wir bewegen was! Und da lamentieren sie schon wieder, woran das gelegen haben kann. Ganz klar, zwei Lager: Da labert so ein Heini von der CDU, dass das ganz klar eine Bestätigung Merkels Politik sei. Und zwar weil die Untertanen, Verzeihung, das Volk eben so zufrieden mit Mutti ist, dass es keinen Grund sieht, überhaupt noch wählen zu gehen.

Ja, man kann sich auch alles schön reden. Selbst wenn der plastische Chirurg betrunken mit Augenbinde am Gesicht gewerkelt hat sagen diese Leute noch: „Macht nix, die Geisterbahn sucht noch Darsteller“.

Die anderen saßen jetzt zwischen vier und acht Jahren mit wundem Hintern auf den Oppositionsbänken und beschuldigen gerade Frau Merkel und ihr Gefolge, dass ihre Politik und diese allein dafür verantwortlich wäre, dass die Leute den Urnen fern blieben. Nun, ihr Schlipsträger, beide falsch! Ihr seid einfach mies, ihr habts nicht drauf. Ihr vertretet das Volk schon lang nicht mehr, und ihr wisst das doch eigentlich auch, oder? Warum tretet ihr nicht einfach ab anstatt vor der Kamera noch heiße Luft zu produzieren? Ist das nicht schlecht fürs Klima? Ach nee, das wollt ihr eh nicht schützen. Haut einfach ab und lasst uns uns selbst regieren.

Wir brauchen keinen, der uns mit Steuern belastet oder Gesetze verabschiedet, die uns schaden. Ihr schützt uns ja nicht mal richtig. Der NSA spitzelt weiter munter meine e-mails aus, ohne dass ich was dagegen tun könnte. Und jetzt habt ihr die Quittung für den Quatsch. Die Leute hassen euch, sie wollen euch nicht mehr. Ihr geht denen am Arsch vorbei, wie man so schön sagt. Okay, die anderen aus der WG gucken schon, weil ich den Fernseher schon wieder anpöble. Mit mir kann man keine politische Sendung gucken, sagen sie immer.

Blödsäcke.

FDP-Wähler und CDU-Lakaien allesamt. Glaub ich zumindest. Chris ist glaub ich JuSo, aber das kann mir eh egal sein – ich bin gegen alles, neutral-feindlich sozusagen. Wie die Creeps aus Warcraft III. Nur dass wir mehr sind. Viel mehr.

48 Stunden später. 55 % Nichtwähler – Jackpot, Bitches! Nachrichten waren noch nie so schön. Land auf, Land ab regen sich Politiker und andere Leute auf über die Nichtbeteiligung an der Gestaltung unseres Landes, Ende der Demokratie, Untergang des Abendlandes, blablabla…

Oh, eine Eilmeldung, sagt die Moderatorin. Vom Bundesverfassungsgericht. Was haben die denn jetzt zu sagen? Mal schaun. Da sitzen die Damen und Herrn in ihren roten Roben, der Chef fängt an zu reden, Voßkuhle heißt der Mann, der Name wird eingeblendet:

„In Anbetracht der geringen Wahlbeteiligung, ja man möchte sagen, des Sieges der Nichtwähler, oblag uns die Pflicht, eine Entscheidung zu treffen. Ja, wir dürfen in diesen Zeiten des Wandels, da das Volk aufsteht und lauthals ‘nein’ sagt, nicht einfach weghören, als ob nichts wäre. Selbst wenn man nicht wählt, bezieht man Position, fällt man ein Urteil über die Regierung. Ein Urteil, dem wir, als freiheitliche, demokratische Gesellschaft uns beugen müssen.

Nicht zu wählen, kann nur eines bedeuten: Der Wunsch nach Selbstbestimmung und absoluter Freiheit, der Wunsch nach Befreiung von der Gängelung durch Politiker, die sich offensichtlich als unfähig herausgestellt haben. Und da diese Regierung so unbefriedigend ist, ist das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluss gekommen, dass es das beste wäre, ja, es im Grunde keine Alternative für Deutschland gibt, ha ha, als diese Regierung mit sofortiger Wirkung abzusetzen. Liebe Bürgerinnen und Bürger, die Bundesregierung existiert nicht mehr. Noch in diesem Augenblick werden der Bundestag und sämtliche Ministerien von der Bundeswehr, die ab jetzt nur noch Wehr heißt, bis uns ein besserer Name einfällt, geräumt.

Des weiteren wird die Regierungsverantwortung auf jeden einzelnen von Ihnen, liebe Bürgerinnen und Bürger, übertragen, sodass sie in Ihrem eigenen Ratsschluss über Wohl und Wehe Ihrer Person entscheiden dürfen. Aus Volkssouveränität wird Individualsouveränität. Damit Sie Ihre eigenen Bedürfnisse besser durchzusetzen können, rufen wir außerdem das dezentrale Kriegsrecht aus, denn da jeder Einzelne von Ihnen jetzt eh sämtliche Kompetenzen der ehemaligen, und mein Pager sagt mittlerweile reduzierten, ich hab denen doch gesagt nicht schießen…na egal, sämtliche Kompetenzen der ehemaligen Bundesregierung innehalten, dass Sie also auch das staatliche Gewaltmonopol auf sich vereinen.

Sie sind berechtigt, Waffen zu tragen und die staatliche Ordnung wenn notwendig mit Gewalt wieder herzustellen. Sie haben hiermit die einzigartige Gelegenheit, alles besser zu machen! Außerdem haben Sie jetzt auch die Finanzhoheit, sie können ja gern versuchen, Steuern beim Nachbarn einzutreiben oder so. Wir müssen jetzt gehen, der Whirlpool im Bunker dürfte aufgeheizt sein“.

Mit diesen Worten tauchen die neun Verfassungsrichter unter ihren Tisch ab, um dann mit Flinten in der Hand wieder aufzutauchen. Jeder lädt einmal durch, dann stürmen sie vor laufender Kamera aus dem Saal. Die Slomka von der ARD ist wieder im Bild und guckt doof. Täte ich an ihrer Stelle auch. Die hat vermutlich keine Knarre zur Hand. Ich übrigens auch nicht. Nur die billige Katanareplik aus dem Asialaden. Die tuts vielleicht fürs erste auch, wenn ich mich als erster Bürger unter vielen in dieser neuen, besseren Welt durchschlage. Wir haben es geschafft! Vae victis, wir sind jetzt am Ruder, die Politiker sind Schnee von gestern, jetzt ist das Volk am Drücker. Jeder ist jetzt sein eigener Boss. Ich verriegele besser die Tür. Wenn ich Glück habe, schaffen es Chris und die anderen Polit-Spackos nicht mehr ins Wohnheim zurück.

Ich muss sagen, dass sich das neue Prinzip echt gut finde. Die ersten Wochen waren natürlich erst mal gewöhnungsbedürftig, denn Freiheit will gelernt sein. Das ist keine einfache Sache, plötzlich sein eigener Herr und Meister zu sein. Selbst jemanden wie mich, der ja quasi zur Avantgarde in Sachen Freiheit gehört, kann das erst mal etwas überfordern. Aber ich hab mich da schnell in meine Rolle reingefunden und mich der Situation angepasst.

Ich hab dem Wohnheim ne Rede gehalten über eigenverantwortliche Selbstverwaltung und reflexive Bürgerpflichten. Fand ich voll gut. Die anderen nicht so sehr, haben mich angebrüllt, dass ich die Musik wieder anmachen soll. Vielleicht sind WG-Parties doch nicht das richtige Forum für politische Reden. Wobei das ja streng genommen nicht politisch war. Es gibt sowas wie Politik eigentlich nicht mehr. Nur noch Leute, die so handeln, wie sie es für richtig halten.

Gestern zum Beispiel musste ich mal kurz ins Rathaus, ne kleine Sache klären. Es hat erst mal Stunden gedauert, denn die meisten sind im Urlaub oder haben früher Feierabend gemacht. Ist eigentlich völlig in Ordnung, wenn wer mehr Ferien braucht, hat er jetzt ja auch ein Recht darauf. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die ihren Kram gemacht sehen wollen und die Freizeitbedürftigen wieder einfangen, um sie zum Arbeiten zu zwingen.

Als Pazifist bin ich mir nicht sicher, was ich davon zu halten habe, aber einem Sachbearbeiter dabei zuzugucken, wie er an seinen Schreibtisch gekettet Formulare bearbeitet, finde ich nach Jahren der behördlichen Willkür dann doch erfrischend. Warum wir noch Behörden brauchen? Nach der ersten Euphorie bzw Panik stellte sich bald heraus, dass wir doch noch ein paar Fachkräfte brauchen. Und irgendwie ist es dem Deutschen doch ein wenig unheimlich, wenn es keine Vorschriften, Formulare und Gesetze mehr gibt.

Die Um- und Durchsetzung ist jetzt allerdings viel individueller. Jeder kann z.B. so schnell fahren wie er will, aber nur wenn er gerade keinem Polizisten begegnet. Der dann ein schönes Bußgeld verhängt, dessen Höhe dann davon abhängt, ob er schon ein paar Fänge hatte oder seine Kinder neue Schuhe brauchen. Manche Zonen werden auch von der Bezirkswehr ( ja, wir haben jetzt eine neue Bezeichnung, Herr Voßkuhle) kontrolliert. Zwar war das nicht ganz im Sinne der Verkündigung, aber es traut sich auch keiner, wirklich mit den Mitbürgern in Uniform zu diskutieren. Raubt nur wertvolle Anstehzeit im Supermarkt.

Seit die Logistik nicht mehr so richtig funktioniert dauert das immer recht lange, bis die Waren neu aufgestockt werden, denn die Lastwagen werden des öfteren angehalten, wenn sie denn noch ihrer Arbeit nachgehen. Ich hab gehört, dass einige Gemeinden ihren inneren Zusammenhalt bewahren konnten und jetzt Zoll gegen sichere Passage verlangen. Und da Überfälle auf Konvois nicht mehr selten sind heutzutage, müssen sich die Unternehmen wohl oder übel drauf einlassen oder aber Umwege fahren.

Häufig bleibt so ein Truck aber auch einfach auf der Straße liegen, weil ihm das Benzin ausgeht. Das wird langsam Mangelware seitdem das neue Verteilungsprinzip eingeführt wurde. Ist aber eigentlich auch besser fürs Klima. Ebenso wie der verringerte Flugverkehr. Die ganze Welt scheint sich nämlich gegen uns verschworen zu haben und weigert sich, die Bundesrepublik weiterhin anzuerkennen und verweigert den „ehemaligen“ Bürgern beinahe einhellig die Einreise.

Hat zwar was diskriminierendes, aber ohne funktionierende diplomatische Vertretung im Ausland wird es ja auch etwas schwierig.

Moment, da klopft jemand an die Tür. Schnell meine pazifistische Schrotflinte laden und mal nachschauen…

 

Flattr this!

Juhu! Jemand, der nicht bei facebook kommentiert! Oldschool!