Es lebte sich gut im Bunker. Sicher, es war oft still und er hatte selten Besuch. Nun gut, eigentlich hatte er nie Besuch. Ein Bunker ist auch nicht für Besuch gedacht. Man lebt dort, weil die Alternativen schlechter sind. Und es kommt eh keiner rein. Denn damit der Bunker funktioniert, muss er versiegelt sein. Und am besten autark. Natürlich war dieser Bunker nicht völlig autark. So lange er sein Essen nicht auf der Fensterbank züchten konnte und jemand ihm Strom und Wasser berechnete, musste er ab und zu raus aus seiner Festung. Einkaufen, Geld verdienen, mit Menschen reden. Aber in einem gewissen Sinne war er doch autark. Zumindest fühlte es sich so an. Andere Leute brauchen Gäste, brauchen „Leben in der Bude“. Er nicht. Er wusste nicht, wann sein Bunker je ein anderes Gesicht als das seine gesehen hätte. Er ging hinüber zum Fenster. Die Straße lag im Dunkeln, hier und da kreisförmige Flächen durch die Straßenlaternen erhellt. Schemenhaft die Fronten der Nachbarshäuser. Für ihn hätte es sich genauso gut um eine menschenleere Wüste handeln können, so wenig wusste er von seinen Nachbarn. Aber das war ihm egal. Er kannte sie nicht, sie ihn nicht und alle waren zufrieden. Menschen behaupten gern, dass sie ihre Mitmenschen interessieren, aber das stimmt eigentlich gar nicht. Wenn sie jemanden nicht kennen, existiert er im Grunde gar nicht. Er hatte das Interesse an Menschen eigentlich schon seit längerem aufgegeben. Es war anstrengend und er wusste, dass es anderen auch so ging. Also erwies er den Leuten den Freundschaftsdienst, gar nicht erst ihr Freund zu werden und in der Versenkung zu verschwinden, bevor er überhaupt richtig in Erscheinung getreten war. Natürlich konnte er nicht zu allen Leuten so freundlich sein. Man musste ja auch mal an sich denken. Seine Augen verfolgten nun einen Schemen, der außerhalb des nächsten Lichtfleckens vorbeihuschte. Eine Katze vermutlich, oder ein Marder. Natürlich war das, was er jetzt dachte, eigentlich depressiver Blödsinn . Eigentlich wusste er das auch. Aber manchmal ist nicht wichtig, was stimmt, sondern, was man für richtig hält. Er dachte gern über sowas nach. Der Mensch spielt Theater, und wenn er nicht selbst auf der Bühne eines anderen steht mit einer seiner zahlreichen Masken, dann sitzt er vor seinem eigenen Kasperletheater und genießt die Vorstellung, das sein Hirn ihm heute präsentiert. Tragödie, Komödie, Propagandastück, alles ist dabei. Auch wenn alle immer so nach der Wahrheit krakeelen, eigentlich mögen sie Theater. Er hatte auch Theater gespielt. Er hatte die Rolle, die ihm eines Abends zugeschanzt wurde, mühsam gelernt, einstudiert und bis fast zur Perfektion gespielt. Kulissen, Kostüme, Skripte…alles hatte es gegeben. Aber hinter jeder Kulisse ist ein Gewirr von Seilen, Gestängen, Kabeln und schlecht gelaunten Bühnenarbeitern und hinter jedem Drehbuch ein gestresster Schreiberling. Und eines Tages war das Publikum hinter die Bühne gekommen und hatte nachgesehen. Und war doch herbe enttäuscht gewesen, dass es nicht die Realität gesehen hatte sondern nur ein Stück. Dafür, dass das Publikum monatelang in bequemen Sesseln Süßigkeiten verputzt hatte, war es ganz schön undankbar. Und das hatte auch das Bühnenteam gesagt. Das Publikum war verärgert und das Stück wurde abgesetzt. Und so saß es nun im Bunker. Also er. Abgesetzt, ungewollt, eine Enttäuschung. Und er war sicher, dass das Publikum sich jetzt freute, vor dem Theater saß und die Sonne genoss. Bevor es bald das nächste Theater finden würde, das ein interessantes Stück anbieten würde. Dann würde das Publikum in Scharen dort hinein strömen, dasselbe noch mal angucken, die Kulissen leicht verändert, ein anderer Hauptdarsteller, die Beleuchtung ein wenig anders. Aber für das Publikum würde es eine völlig neue Erfahrung sein. Overtüre, Handlung, alles gleich, aber trotzdem alles besser. Und, würde das Publikum schwören, echt. Und in den Spielpausen würde es seine eigene Vorstellung inszenieren, um das Bühnenteam zu belohnen und dazu zu bringen, weiter zu spielen. Um dann vielleicht selbst abgesetzt und aus dem Theater geschickt zu werden.