„Affenbrotbaum.“ Seiner Ansicht nach war das eine der wenigen nicht allzu ausgeleierten Möglichkeiten, eine Geschichte zu beginnen. „Der Affenbrotbaum sprießte und die Eule sang ihren schuhuhenden Gesang.“ Oder, falls jemand auf zeitlose Epik stehen sollte, „es begab sich zu der Zeit, als der Affenbrotbaum sprießte und die Eule ihren schuhuhenden Gesang sang. „
Was für ein Blödsinn, dachte er sich weiter. Erstens hatte er nicht vor, eine Geschichte zu schreiben, zweitens hatte er keine Ahnung, ob Eulen überhaupt sangen und drittens, was sollte das mit dem Affenbrotbaum?
Und überhaupt, dachte er sich und kochte sich erstmal einen Kaffee, überhaupt würde er keine Geschichte schreiben wollen.
Irgendein Witzbold würde sicher jede Zeile analysieren und ihm spätestens auf der dritten Seite irgendeinen Komplex attestieren. Er hatte keine Lust, sich sagen zu lassen, er sei ödipal. Er dachte ödipal, weil es der einzige ihm bekannte Komplex war. Er war nicht ödipal, sein Verhältnis zu seiner Mutter war ziemlich normal, um ehrlich zu sein, war es ihm ziemlich gleichgültig, gerade weil es so normal war. Er überlegte leicht beunruhigt, ob das nicht auch als Komplex gedeutet werden konnte. „Ostendative Gleichgültigkeit, mein Herr! Interessant, interessant…“ und daraufhin erst einmal ein tiefer Zug an der Zigarre, „ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter ist Ihnen also gleichgültig, soso, soso. Interessant, mein Herr! Überspielen Sie gerne tiefgreifende Probleme mit Emotionslosigkeit? Verdrängen Sie vieles? Träumen Sie emotional?“
An dieser Stelle unterbrach er sein Gedankenspiel mit dem bärtigen Psychologen und sein gedankliches Ich erhob sich leicht träge und benommen von der recht bequemen Psychologencouch, dessen gravierender Makel jedoch das latente Gefühl des Ausgeliefertseins war. Er verbat sich weitere ausschweifende Gedankenwanderungen dieser Art.
Er ging los, weil er keinen Grund dazu brauchte. Er lief seinen Weg durch die Stadt, die unter einem lilanen Himmel ruhte, den sie ignorierte wie Narzisst seine Makel. Sie schickte lediglich mit einer gewissen Genugtuung ihre Abgase hoch, die sie wie eine behütende Glocke abschirmten. Als würde der Himmel ihr sonst zu nahe kommen. Aber Himmel sind bekanntermaßen launisch, und das störte die Stadt in ihrem Trott. Unter der Glocke konnte sie immerhin so tun, als könne seine Launen weitest möglich ignorieren.
Er lief kreuz und quer, begutachtete schmunzelnd Reklame, ohne sie gutzuheißen, schaute sich Menschen und Schaufenster an und dann wieder Menschen.
Ein Straßenmusiker spielte irgendetwas von Beethoven. Irgendwann war er wieder zuhause.
Er saß am Fenster und sah dem aufkommenden Regen zu. Der lila Himmel färbte sich grün, bevor er seitlich ein wenig hinwegkippte. Das war aber nicht schlimm. Wenn es jemanden störte, konnte er ja den Kopf ein wenig neigen. Schiefer Himmel oder schiefer Boden, man musste sich eben entscheiden. Man kann im Leben nun einmal nicht alles haben. Er entschied sich für den schiefen Himmel und sah weiter dem Regen zu.
Er fragte sich, was hier schief lief. Es passierte die ganze Zeit absolut nichts. Nicht, dass es ihn wirklich störte. Aber irgendwie wurde ihm doch ständig suggeriert, es müsse etwas geschehen. Er erlaubte sich ein weiteres Gedankenspiel. Wäre er die Figur in irgendeiner Geschichte, würde doch ein Leser spätestens jetzt, wenn der Tag so weit fortgeschritten war und er sogar einen Spaziergang unternommen hatte, erwarten, dass etwas passierte. Dass er mit einer tragischen Vergangenheit aufwarten konnte oder zumindest irgendwelche Superkräfte hatte. Diese an Sensationsgier grenzenden Erwartungen wären nicht unproblematisch.
Auf ersteres hatte er ernsthaft keine Lust und er hatte ebenso wenig Lust, einen Sprung aus dem Fenster zu wagen, um etwaige Superkräfte zu erproben. Es war ja auch nur ein dummes Gedankenspiel.
Er beschloss, einfach zu warten. Einfach abwarten, worauf auch immer.
Er kochte sich noch eine große Kanne Kaffee, um bei Warten nicht einzuschlafen, setzte sich in seinen Sessel, faltete die Hände und wartete.