Wahlkampf im Sunflower State

Bevor ich nach Manhattan, Kansas gezogen bin, dachte ich ja immer, dass eine Unterhaltung damit beginnt, sich vorzustellen. Also Name, Beruf oder Studiengang, eventuell Heimatstadt, je nachdem, wie betrunken der Gesprächspartner ist oder wieviel Zeit man in das Gespräch investieren möchte. Gleich in der ersten Woche wurde ich aber eines besseren belehrt.

Eine Kommilitonin fragte mich da doch gleich, ob ich “conservative” oder “liberal” sei, auf gut deutsch also, ob ich eher links oder rechts denke. Der mögliche Amerikareisende seien hier schonmal vorgewarnt: Die richtige Antwort ist weder links noch rechts. Im übrigen lautet sie auch nicht “demokratisch/republikanisch” oder gar “Obama/Romney” – die richtige Antwort lautet “ich bin Europäer”. Weil, das hat mir ein Gastprofessor neulich mehr oder weniger indirekt erklärt, Europäer sind sowieso abtreibende, schwule, bald mehrheitlich muslimische Menschen, gemeinhin bekannt als Obama-Sympathisanten und Demokraten. In dem Falle war das im übrigen eine gute Sache, die Kommilitonin versteht sich selbst als ultralinke Feministin, also sowas wie den natürlichen Feind meines Gastprofessors.

Dieser war zum Glück nicht mein eigentlicher Professor, er durfte nur eine Stunde lang über Frankreich reden. Eine Stunde, in der ich und die schwedische Austauschstudentin ziemlich sprachlos waren, während uns klassische rechtspopulistische Rhetorik entgegenschlug – in dem Fall aber nicht von einem Geert Wilders oder Pro NRW, sondern von einem Hochschulprofessor, der seine Sicht auf Frankreich als Realität verkaufen wollte. Und der es sich natürlich nicht nehmen ließ, darauf hinzuweisen, dass “so ein Kandidat”, also Obama, prinzipiell immer genau das will, was in Frankreich schiefläuft – Streiks, Immigration, Sozialismus.

Tja, und immer, wenn man Menschen kennt, die radikal eine bestimme Partei unterstützen, übersieht man die Mehrheit, die alles irgendwie bäh findet. So wie meine Mitbewohner. Einer davon kann als illegaler Mexikaner nicht wählen. Und selbst wenn, dann würde er nicht wählen gehen. Obama würde ja sowieso nur versuchen, Mexikanerstimmen zu gewinnen, das sei der einzige Grund für den Dream Act gewesen, der Leuten wie ihm eine Chance bietet, legal hier zu leben. Immerhin würden beide Kandidaten um Latinostimmen buhlen, warum sonst hätte man das Gesetz erst kurz vor den Wahlen durchgebracht?

Die Statistiken geben ihm da Recht. Latinostimmen werden wohl wahlentscheidend sein, in mehreren Staaten sind sie die entscheidende Gruppe. Mit momentan etwa 2/3 tendieren sie zwar eher zu den Demokraten, sie sind aber noch keine eindeutige Demokraten-Zielgruppe wie etwa die Afroamerikaner. Beide Kandidaten haben das schon länger erkannt und umwerben Latino-Wähler entsprechend.

Das rückte aber etwas in den Hintergrund, als Romney zwei große Fehler beging. Zunächst einmal kritisierte er Obama direkt während der Krise um den Mohammed-Film, der zu Protesten in zahllosen Ländern führte und vermutlich von Terroristen für einen Anschlag auf eine US Botschaft genutzt wurde. Dabei wurde der US Botschafter in Bengasi, Libyen, getötet. Man könnte natürlich meinen, dass ein Mord an einem Botschafter den Präsidenten schwach wirken lässt und ihm schadet. Das wäre wahrscheinlich auch passiert – wenn Romney nicht versucht hätte, sich zu profilieren. Denn in Krisenzeiten gibt es einen “Rally around the flag” Effekt, das heißt, die Unterstützung für den Staat und damit auch für den Amtsinhaber nimmt zu, Kritik ist unerwünscht, weil nicht angemessen. Das war immerhin die einzige Woche, in der nur Positives über den Präsidenten zu hören war – jedenfalls im Gespräch mit echten Menschen, die Medien sind nochmal eine andere Geschichte.

Der zweite Fehler war ein Video, in dem der republikanische Kandidat bei einer privaten Veranstaltung über 47 Prozent der Wähler herzieht, die vom Staat abhängig seien, eh nur Obama wählen würden und bei denen er keine Chance habe. Das hat dann auch gleich die Mehrheit der Republikaner gegen ihn aufgebracht und ihn in Umfragen radikal abstürzen lassen.

Vor kurzem fannd dann die erste Fernsehdebatte statt, in der Romney überraschend witzig und munter ankam. Auf jedenfalls munterer als die Zuschauer, die sich in der Uni eingefunden hatten, um sich das Spektakel anzuschauen. Trinken durften wir leider nur Wasser, aber die Mehrheit war ja noch unter 21, da wäre das auch illegal gewesen. Nachdem ich von einer Gruppe kreischender Mädels gefragt wurde, ob ich Obama oder Romney wählen würde (“pscht, sowas fragt man doch nicht!”) fand ich dann sehr schnell heraus, dass die Mehrheit nicht freiwillig da war, sondern um Extrapunkte in ihren Politikkursen zu sammeln. Während also die Mehrheit ihre Handys zückten, um jede Pointe zu twittern (“Mr President, könnte es eine romatischere Art geben ihren Hochzeitstag zu verbingen als hier mit mir?”), erfand sich Romney selbst komplett neu – witzig, moderat, schlagfertig. Einen leichten Aufschwung in Umfragen brachte ihm das dann ein, auch wenn er noch lange nicht führt.

Interessanter waren dagegen die Republlikanerinnen, die neben mir saßen. Gegen Schwulenehe sei man ja nicht, wurde mir da versichert, wirtschaftlich war auch nichts gegen Obama einzuwenden, aber naja, die Eltern wählten halt republikanisch, und so macht man das halt auch. Leider verschwanden sie direkt nach der Debatte, sodass unsere Gruppen für die anschließende Diskussion aus jeweils einer Person bestanden. Also wurde eine einzige Gruppe gebildet, die vielleicht nicht besonders repräsentativ ist, die aber durchaus zeigt, wie politisch interessiert die meisten Studenten sind. Die Anwesenden – ungefähr 5 Studenten, einige Journalisten, mehrere Leute, die das ganze organisieren, und eine Bibliothekarin – waren vor allem besorgt über die zunehmende Polarisierung der Politik. Bei einer so kleinen, relativ homogenen Gruppe ist es aber eher illusorisch, zu dem Thema ein ernsthaftes Ergebnis zu finden.

Im Internet dagegen wurde vor allem die Arbeitslosigkeit von Big Bird diskutiert. Nachdem Romney angekündigt hatte, dem Sender PBS staatliche Unterstützung zu streichen, fürchteten Fans der Sesamstraße ein Ende der Kinderserie – und schickten hunderte von Bildmontagen rum, vor allem bei Twitter. Das wird auch wahrscheinlich die Aussage in der Debatte bleiben, an die man sich am ehesten erinnern wird.

Zurück in meine Wohnung. Mein Mitbewohner fläzt sich auf die Couch, es gibt wirklich kein einziges Gesprächsthema mehr, keinen rhetorischen Ausweg, also reden wir über die Wahl. Ob er denn wählen werde. Ja, sicher doch! Naja. Wenn er denn dran denke, sich zu registrieren.

Da trau ich mich gar nicht mehr, zu fragen, ob er sich schon entschieden hat.

Nachtrag:

 

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One thought on “Wahlkampf im Sunflower State”

Juhu! Jemand, der nicht bei facebook kommentiert! Oldschool!