Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa

Europa als Vorbild in Sachen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Pressefreiheit und vor allem als moralischerer Vertreter derselben Werte, die auch die USA für sich beanspruchen – so sehen wir uns hierzulande ja sehr gerne. Damit es auch dabei bleibt, müssen wir uns regelmäßig kritisch fragen, was falsch läuft in der Hinsicht – und da lässt sich momentan so einiges finden.

Fangen wir an mit der Pressefreiheit. Die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisierte heute in einem Artikel auf ihrer Seite die aktuellsten Entwicklungen in Europa und warnte vor einem Verlust von Europas “Vorbildfunktion” bzgl der Pressefreiheit.

„Es ist beunruhigend festzustellen, dass demokratische Staaten wie Frankreich, Italien oder die Slowakei jedes Jahr weitere Plätze in der Rangliste verlieren“, sagte Jean-François Julliard, ROG-Generalsekretär bei der Vorstellung der Rangliste 2009.

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In einigen europäischen Ländern sind Medienmitarbeiter auch vor körperlichen Angriffen nicht sicher: In Italien sind mafiöse Gruppen und in Spanien (44., vorher 36.) die ETA für Gewalt und Drohungen gegen Medienvertreter verantwortlich. Auch auf dem Balkan dokumentierte ROG Fälle von Gewalt gegen Journalisten: So wurde beispielsweise in Kroatien (78.) der Eigentümer und Marketing-Direktor der Wochenzeitschrift „Nacional“ bei einem Bombenattentat getötet.

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Iran unter den Schlusslichtern
Repressionen, Drangsalierungen und Schikanen haben sich für iranische Journalisten und Journalistinnen in diesem Jahr extrem verschärft: Durch die umstrittene Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad ist das Land in eine tiefe Krise gestürzt. Gleichzeitig verfestigte sich die Paranoia des Regimes gegenüber Medienmitarbeitern und Bloggern.

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Israel: Nachrichtenkontrolle während des Gaza-Kriegs
Israels Militäroperation „Gegossenes Blei“ im Gazastreifen im Dezember 2008 und Januar 2009 beeinträchtigte auch die Lage der Medien und Journalisten in Israel selbst: Infolgedessen führt das Land nicht länger die Gruppe der Staaten des Nahen Ostens / Nordafrika an und steht hinter Kuweit (60.) und den Vereinigten Arabischen Emiraten (86.). Nicht nur bei der Berichterstattung aus Palästinensischen Gebieten hat Israel scharfe Restriktionen verhängt. Die Militärzensur bedroht die journalistische Berichts- und Recherchefreiheit auch im eigenen Land. ROG hat zudem eine Reihe von Festnahmen dokumentiert – einige von ihnen eindeutig ungesetzlich.

„Obama-Effekt“ bringt USA unter die „Top 20“
[…]Die Haltung US-amerikanischer Militär- und Sicherheitsbehörden gegenüber Medien im Irak und Afghanistan bleibt besorgniserregend. ROG dokumentierte in beiden Ländern Übergriffe von Journalisten durch das US-Militär sowie mehrere Festnahmen von Pressevertretern.

Deutschland hat hierbei vergleichsweise positiv abgeschnitten; auch da gibt es allerdings Kritikpunkte was etwa Rechtsstaatlichkeit und der Schutz und Erhalt einer viralen und aktiven Zivilgesellschaft angeht. Dabei geht es mir jetzt nicht um Polizeigewalt im Allgemeinen, sondern konkret um die G8-Proteste, bei denen noch immer nicht sämtliche Vorgänge geklärt sind. Dass dabei die Bundeswehr in verfassungsmäßig umstrittener Weise eingesetzte wurde, dass eindeutig rechtswidrige Razzien im Vorfeld durchgeführt wurden und dass ein riesiger Metalzaun dazu verwendet wurde, die Demonstranten möglichst effektiv an ihrem Demonstrationsrecht zu hindern, ist nichts neues. Dazu heißt es im verlinkten Artikel:

Bundesanwaltschaft und Polizei standen wegen der Maßnahmen vor und während des G8-Gipfels bereits seit längerem in der Kritik. Unter anderem da von Verdächtigen auch Geruchsproben genommen worden waren. Am Rande des Gipfeltreffens selbst wurden rund 1500 Ermittlungsverfahren gegen Demonstranten eingeleitet, insgesamt aber nur wenige verurteilt. Gegen rund 1000 Beschuldigte wurden die Verfahren eingestellt, bevor es zu einer Anklage vor Gericht kam – in rund der Hälfte dieser Fälle deshalb, weil den Beschuldigten nichts nachgewiesen werden konnte. In den übrigen Fällen handelte es sich um Ordnungswidrigkeiten, oder die Staatsanwaltschaft ging nur von geringer Schuld aus.

Teilweise laufen die Verfahren noch – wie etwa das Verfahren eines Heilpraktikers, der durch einen Wasserwerfer auf einem Auge erblindete.

Bevor ihn der Strahl des Wasserwerfers trifft, spaziert er über eine Wiese, hält sich von den Wasserwerfern fern, erklärte er damals. Erst als der Wasserbeschuss aufhört, nähert er sich einer Gruppe von Protestlern, die sechs Meter von den Wasserwerfern entfernt eine Bauplane hochhalten. Steffen B. erinnert sich, wie ein Polizist mit einem Schlagstock auf Demonstranten zeigt, ganz so, als dirigiere er den Wasserwerfer. Dann trifft ihn der Strahl mit Wucht. Sein Jochbein ist zertrümmert, das linke Augenlid halb abgerissen.

Steffen B. erstattete Anzeige wegen schwerer Körperverletzung. Ende Juli 2009, mehr als zwei Jahre später, stellte die Rostocker Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen zwei Polizeibeamte ein. “Nach umfangreichen Ermittlungen können wir feststellen, dass es ein bedauerlicher Unfall war”, erklärte Sprecherin Maureen Wiechmann der taz. Es sei kein Fremdverschulden zu erkennen, da die Beamten Steffen B. nicht vorsätzlich beschossen hätten. In der Begründung heißt es, dass auch keine Fahrlässigkeit vorliege. “Die Beamten haben ihre Aufgabe in rechtmäßiger Weise erfüllt. Sie haben ihre Sorgfaltspflicht nicht verletzt.” Steffen B. habe sich selbst in die Gefahrenzone begeben und “aus Neugier” in Richtung Wasserwerfer gesehen. Zudem seien Aussagen von Zeugen und Steffen B. “unglaubwürdig”.

Steffen B. hat jetzt Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft in Rostock eingelegt. Sein Anwalt Steffen Sauer wirft der Staatsanwaltschaft vor, kein Interesse an einer objektiven Beweisführung zu haben. “Die Aussagen der Polizisten werden eins zu eins übernommen, die anderer Zeugen nicht für voll genommen”, sagte er. Videos, die den Vorgang dokumentierten, würden nicht einbezogen.

Die scheint sich zu wiederholen – und zwar bei der UN-Konferenz in Kopenhagen.

Für Straßenblockaden drohen Freiheitsstrafen von 40 Tagen ohne Bewährung. Bußgelder für die Störung der “öffentlichen Ordnung” sollen verfünffacht werden – und die Polizei soll DemonstrantInnen bei bloßem Verdacht ordnungswidriger Absichten vorab für zwölf Stunden in Vorbeugehaft nehmen können.

[…]

Auch für “Mitläufer”, die sich von Demonstrationen nach Polizeiaufforderung nicht umgehend entfernen, solle es mit Geldbußen von 400 bis 700 Euro richtig teuer werden. Andersen: “Die Lümmel sollen etwas auf die Nase bekommen, das ihnen wehtut.” Eine parlamentarische Mehrheit für die Gesetzesänderungen gilt als sicher, weil außer den Regierungsparteien auch die Sozialdemokraten umgehend ihre Bereitschaft zur Zustimmung signalisierten.

Besonders schön ist natürlich der Punkt, dass die Sozialdemokraten dem Gesetzespaket zustimmen wollen. “Wer hat uns verraten” sag ich da nur – wie sagt man das eigentlich auf schwedisch?

Kommen wir zu meiner “Lieblingsdemontierung eines verhältnismäßigen Rechtsstaates” – den Niederlanden. Naja, streng genommen geht es mir um das neueste Gesetz gegen Hausbesetzer, aber man kann eigentlich bei der gesamten amtierenden Regierungspolitik von einer Auflösung des Rechtsstaates sprechen, das Gesetz war noch vergleichsweise harmlos (dafür aber umso symbolträchtiger). Bislang waren Hausbesetzungen unter bestimmten Umständen legal. Damit galt die Niederlande nicht nur als Paradies für sogenannte “Kraker” (=Hausbesetzer), sondern auch als Vorreiterin in Europa. Die Hausbesetzungen waren mindestens so “typisch” für die Niederlande wie die liberale Praxis bei weichen Drogen. Jetzt allerdings wurde mit Hilfe des Rechtspopulisten Geert Wilders ein Gesetz durchgepaukt, dass die taz wie folgt beschreibt:

AMSTERDAM taz | Häuser besetzen, auf Holländisch “kraaken”, ist in den Niederlanden zukünftig verboten. Das hat am Donnerstagabend das Unterhaus in Den Haag beschlossen. Nun muss die Erste Kammer zustimmen. Die Initiatoren des neuen Anti-Kraak-Gesetzes, die regierenden Christdemokraten (CDA), die ChristenUnie (Calvinisten) und die oppositionelle liberale Partei VVD, hatten für das Votum die Stimmen der rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid (PVV) des umstrittenen Rechtspopulisten Geert Wilders nötig. Unmittelbar nach der Abstimmung brach auf der Publikumstribüne ein Tumult los. Die Parlamentssitzung wurde kurz unterbrochen.

[…]

Nach dem neuen Gesetz, das zum 1. Januar 2010 in Kraft treten soll, soll das “Kraaken” von Wohnungen und Geschäftsgebäuden viel härter angepackt werden. Hausbesetzungen sind dann strafbar und können mit einem Jahr Gefängnis belegt werden. Wenden Besetzer Gewalt an, kann sich die Haft auf zwei Jahre erhöhen. Maximal zwei Jahre und acht Monate Haft drohen Besetzern, die als Gruppe agieren und dabei Gewalt ausüben.

Bislang sind Hausbesetzungen in den Niederlanden legal, wenn Gebäude mindestens ein Jahr leer stehen. Bei einer ordentlichen Hausbesetzung bringt man Stuhl, Tisch und Matratze mit und meldet sich bei der Polizei. Hauseigentümer können das Objekt räumen lassen, indem sie gegenüber einem Richter Nutzungspläne nachweisen.

Der – pardon – Nazi Geert Wilders machte in der Vergangenheit übrigens vor allem Schlagzeilen durch seinen “Film” Fitna sowie durch seine Unterstützung durch meinen Lieblingspopulisten Henryk M. Broder und die rechtsradikale Internetplattform “Politically Incorrect”. So jemand darf jetzt also niederländische Politik maßgeblich mitbestimmen.

 

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Juhu! Jemand, der nicht bei facebook kommentiert! Oldschool!