Zum ersten Mal seit langem schreibe ich hier wieder auf Deutsch. Auch, weil viele von denen, die diesen Text lesen sollten, kaum Englisch verstehen (und nein, ich spreche weder von Oettinger noch von Westerwelle).
Die letzten zwei Jahre waren traurig für jeden weltoffenen Menschen in Deutschland. Ein Armutszeugnis war ja schon der NSU-Skandal – waschechte Neonazis ermorden Mitmenschen, und die Polizei ermittelt gegen Angehörige, weil es rechten Terror ja nicht gibt. Wer vorher Witze über die Inkompetenz und Einseitigkeit der Sicherheitsbehörden gemacht hat, dem blieben ebendiese Witze angesichts der Realität im Halse stecken. Nicht einmal meine leicht verschwörungstheoretisch orientierten, linksradikalen Freunde hätten sowas erwartet.
Dann kam Pegida (zu denen ich, zu meiner eigenen Überraschung, nicht wirklich was geschrieben habe). Was soll man da noch sagen? Aus “Eurokritikern” wurden da ganz schnell xenophobe Menschenmassen. Sogar einige der Akteure selber waren über die Intensität überrascht (um das aber kurz festzuhalten: Respekt für die Entschuldigung, Frau Oertel!).
Rechte Mobs, überall
Und da wären wir schon im Jahr 2015. Noch nie war Deutschland so bunt, die Flüchtlingszahlen steigen – und noch nie war Deutschland so braun. Fremdenfeindliche Angriffe nehmen zu, Proteste gegen Asylbewerberheime sind an der Tagesordnung, so auch die Eskalation auf ihnen.
Freital, Heidenau, Dresden – es sind diese Bilder, wegen denen ich mich manchmal vor Deutschland ekele. Wer Pegida gesehen hat, wer die Proteste in Freital gesehen hat, der kennt den hässlichen Deutschen. Die reale Frage kommt auf: Will ich, traue ich mich aus meinem Londoner Exil zurück an den Rhein?
Umso wichtiger, dass sich etwas ändert. Die Proteste gegen Pegida waren riesig – Spitzenreiter da war, ausgerechnet, das sonst so brave München. War es die Sensibilisierung durch die anhaltenden Probleme in der Bayernkaserne? Waren es die Refugee Protest Camp Aktionen? Die Berichterstattung durch die SZ? Oder doch eine großstädtische CSU, die sich gegen Rassismus gestellt hat? So oder so: Es war einer dieser Momente, in denen man sein Vertrauen in Deutschland zurückgewinnen konnte.
Wohin man schaut: Flüchtlingsthemen sensibilisieren
Vergleichbares hatte ich zuletzt 2009 erlebt, beim Anti-Islamisierungskongress in Köln, als 20-50.000 Gegendemonstranten 300 Rechtspopulisten Paroli boten, und gänzlich unpolitische Menschen auf die Straße gingen. In München war es noch extremer – selbst komplett nachrichtenscheue Münchner in meinem Umfeld, die sich jahrelang um jegliche politische Meinung gedrückt hatten, bezogen Stellung. Und zwar klar gegen den Mob, klar für Weltoffenheit.
Meine Politisierung begann mit Sarrazin, deswegen war es so heilsam, Kommentare wie den von Anja Reschke zu hören. Auch sowas ist möglich in diesem Deutschland. Staatlich finanzierte Medien, auf Überparteilichkeit getrimmt, in denen klar Stellung bezogen wird gegen den Mob. Ist es soweit, und die Existenz von PoC’s steht nicht länger grundsätzlich zur Debatte in diesem Land, sondern ist gesellschaftlicher Konsens? Muss ich mich nicht länger dafür rechtfertigen, hier zu leben?
Unglaublich, aber: Asyl, Einwanderung und Rassismus sind keine Nischenthemen von Antifa/Antira-Fans, sondern sie sind ebenso sehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen wie einst Umwelt. Das Chlor-Hühnchen ruft ähnlich einstimmige Reaktionen hervor wie Pegida: Man findet es schlecht, man hat ein, zwei Argumente für diese Meinung, aber eigentlich muss man sich da nicht weiter mit auseinandersetzen, außer man spricht mit einem Hühnerfleischproduzenten aus den USA oder einem Pegidisten.
Egal wen ich an jungen, politisierten Menschen treffe: Ihr erstes Thema sind Flüchtlinge (egal ob pro oder contra). Ähnlich unisono klangen früher nur Anti-AKW Demos (ja, ich impliziere sehr heftig dass ich doppelt so alt bin, wie ich es bin). Und das gibt Hoffnung – ja, der Mob ist da, aber er wird bekämpft.
Wenn das nur reichen würde
Ist das schon der Aufstand der Anständigen? Nein. Der lässt weiterhin auf sich warten – Merkel ist zu sehr damit beschäftigt, zu streicheln, um wirklich zu helfen.
Aber während Gauck vermeintlich tröstende Sätze hinpoltert, bekennt unsere unscheinbare, vorsichtige Angie endlich mal Farbe. Der Koalitionspartner, beispielsweise Gabriel, ist da nochmal klarer.
Irgendwer musste es ja aussprechen: Gesetze gelten auch für Flüchtlinge. Bloß, weil jemand keine deutsche Staatsbürgerschaft hat, darf man ihn nicht anzünden. Wäre auch ein gutes Tattoo, oder?
Der Aufstand der Anständigen ist bisher eher kümmerlich. Aber: Das Thema ist aktuell, es wird diskutiert, debattiert, und all das, ohne die grundsätzliche Existenz der Betroffenen in Frage zu stellen. Bin ich zynisch, weil ich mich über so wenig freue? Vielleicht. Aber manchmal muss man nach Strohhalmen greifen.
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