Deutsche Nachbarn. Reisen durch Polen, Belgien, Österreich, die Niederlande, Frankreich, Luxemburg und Dänemark #5: Sprachfetzen

Wie lernen wir Sprachen? In der Schule und dann in privaten und Hochschulangeboten, wo wir stufenweise Sprachzertifikate auf den Leveln A bis C erwerben. Manche privaten Urkunden sind so viel Wert wie die tägliche Briefkastenwerbung mit Supermarktangeboten, weil man keine Sprachen beherrschen muss, um sie zu bekommen, solange man bezahlt. Man muss dafür nicht einmal die eigene Sprache adäquat beherrschen. Für Migranten mit Zielort Deutschland haben deshalb die Sprachzeugnisse der Goethe-Institute eine hohe Bedeutung und eine entsprechende Nachfrage, überall auf dem Globus. Es gibt auch andere Wege.

Sprachen lernen ist mühsam und wie beim Schach gibt es hier keine Wundermenschen, die nicht jahrelang sich mit derjenigen Sprache auseinandergesetzt haben, die sie beherrschen, in Schrift und Laut und Artikulation. Das Wunder ist die Geduld des Einzelnen, weiter und weiter zu lernen. Für Menschen mit bescheidenem Erfolg im Sprachunterricht bietet sich bei vorhandener Zeit der ausgedehnte Auslandsaufenthalt an. Oder das dröge Selbststudium, ohne soziale Kontakte, ohne Motivatoren, mit sich allein am Schreibtisch und einem Haufen Büchern, Zeitschriften, Lehrbüchern, Lernheften und Sprach-CDs und fremdländischen Radiosendern und Musikaufnahmen und Hörbüchern.

Mit der Zeit findet sich eine ganze Reihe von Sprachfetzen, die sich allmählich zu der Sprache zusammenpuzzeln lassen, die man sprechen möchte. Wenn man sich keine Mühe gibt, nimmt man aus dem Urlaub, Besuchen, Zwangsaufenthalten oder dauerhafter Migration langsam Wort für Wort der lokalen Sprachfarben und Floskeln mit.

Mein absoluter Favorit sind Werbetafeln. Ich weiß schon lange, was „neue Bäder“, „Autoersatzteile“ oder „Hühnchen im Sonderangebot“ in verschiedenen Sprachen heißt. Unterschiedliche Länder haben außerdem unterschiedliche Favoriten der Werbeplakate. In Polen scheinen die Heimwerker die gewinnträchtigste Kundschaft zu sein, für sie wird unheimlich viel geworben, das ganze Land scheint die Terassen, Flure, Küchen, Bäder, Balkone aus- und umzubauen und einzurichten.

Das klassische unterbewusste Lernen findet im ÖPNV statt. Schon der ein oder andere Abenteurer lernt in den Bonner Bussen die Worte „Next stop: Bonn central station“. Je nach dem, wo man ist, sind die Ansagen schön deutlich und klar ausgesprochen, der Sprachduktus erinnert an R2D2 aus Star Wars. Die Sprachmaschinen der Deutschen Bahnen lassen den Bahnreisenden seit einigen Monaten an jedem Punkt seiner Reise Geborgenheit spüren mit Hilfe der glücklich und zufriedenen Ansage, die sich durch ein hartes Stakkato der Silben heutiger Sprachcomputer auszeichnet. Ähnliche Sprachbröckchen wie „nächste Haltestelle“ hat mir der Navigator beigebracht, sodass ich jetzt in vielen Sprachen sagen kann, in wie viel Metern die nächste Abbiegung kommt und das bald eine mögliche Radarkontrolle auf mich wartet oder ich wenden soll.

Radiosender haben noch nie gut zum Sprachenlernen getaugt. Überall auf der Welt neigen die Radiomoderatoren zu einem „Wer-schafft-wie-viel-Worte-in-möglichst-wenig-Zeit?“-Redeschwall, auch Gesprächssendungen sind entweder recht hektisch oder extrem ereignisarm. In guter Erinnerung habe ich eine französische Sendung auf rfi monde im Webstream, in der vor Schluss der Sendezeit noch mal jeder was sagen sollte, während die Teilnehmer_innen schon dazu übergegangen waren, sich anzuschreien, und den Leuten regelmäßig das Wort abgeschnitten wurde. Die Sendung endete abrupt.

Ein Freund aus Polen gestand mir zu, dass er die ersten Schritte im umgangssprachlichen Deutsch mit Hilfe von der TV-Sendung „Komissar Rex“ gegangen war. In Osteuropa, so habe ich in einer Zeitung gelesen, sei diese Sendung ohnehin sehr beliebt gewesen. Das ist meine neue Strategie, über den Erfolg wird die Zukunft entscheiden: Ganze Staffeln von fremdsprachigen Fernsehsendungen zu kaufen und mit deutschen oder englischen Untertiteln zu sehen. Irgendwann muss man was gelernt haben. Gerade Telenovelas und Daily Sopas und Real Live TV, SO reden die Menschen. Dann hat der Klang meiner Fremdsprachen etwas mehr Alltagsdramatik. Ich empfehle sehr warm Czas honoru über den Warschauer Aufstand im Zweiten Weltkrieg und den Kampf gegen die sowjetischen Besatzer und die Postkriegswirrnisse in der wieder verlorenen Heimat. Ich kenne allerdings nur die fünfte Staffel.

Die solide Basis bleiben die Bücher, Musiklieder und Zeitschriften, die man mühsam oder schludrig durcharbeitet. An das erste Buch in der neuen Sprache, das man freiwillig und vollständig gelesen hat, kann man sich bis zum Lebensende deutlich erinnern – weil es meist viele Monate gebraucht hat, das Werk bis zum Ende zu bringen, ohne dass man sonderlich viel verstanden hat. Das waren: Our man in Havana von Graham Greene. Tom Sawyer en Huckleberry Finn te luisteren. Comment on se marie et comment on meurt de Emile Zola. Kamienie na szaniec. Um Brasileiro em Berlim von Joao Ubaldo Ribeiro. Bellum Gallicum von Caesar.

 

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