Nein, das ist kein Aprilscherz: Heute war der 100. Verhandlungstag im NSU-Prozess. Ein Prozess, der an den Erwartungen leider nur scheitern kann.
Das Rechtssystem hat prinzipiell mehrere Ziele. Zum einen soll es Gerechtigkeit wieder herstellen; dafür gibt es in Prozessen Dinge wie Schmerzensgeld und Wiedergutmachungen. Gleichzeitig sind Gesetze und ihre Vollstreckung als Abschreckung gedacht – an jedem verurteilten Straftäter wird ein Stück weit ein Exempel statuiert, damit andere keine Verbrechen begehen. Und schließlich gibt es noch die Resozialisierung, immerhin will man nicht, dass Straftäter rückfällig werden. Darum sollen sie eine Lektion erlernen. Wirklich selten ist dagegen ein anderer Aspekt, den wir ebenfalls mit Gerichtsprozessen assoziieren: Die Wahrheitsfindung.
Der NSU-Prozess, der nun seit 100 Tagen verhandelt wird, wurde von vornherein stark rezipiert. Nur leider hatte jeder ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, was die Rolle des Prozesses war.
Seit drei Jahren wissen wir, dass es Rechtsterrorismus gibt
Immerhin hatte gerade eine Bande von Nazis seit Jahren Anschläge verübt, unbeachtet von der Polizei. Während die Ausgaben gegen den linken und islamistischen Terrorismus stiegen, während das Bonmot von der Blindheit auf dem linken Auge zunahm und Ministerinnen versuchten, weniger über Rechtsextremismus zu sprechen, während also ganz Deutschland davon ausging, dass die Gefahr von rechts abnimmt und die Gefahr von links beziehungsweise von Menschen mit dunklerem Teint zunimmt, töteten Rechtsextremisten Menschen.
Und die Polizei gab mal den Opfern die Schuld, mal stellte sie sich so dumm an, dass die Täter davon kamen. Es ist kaum übertrieben, von einem Versagen der Behörden, aber auch der Politik zu sprechen. Rechtsextremismus wurde unterschätzt, fast zweit Jahrzehntelang wurde der NSU “übersehen”.
Dieses Versagen sollten nun die Richter beheben. Während einige Bundesländer sich noch weigern, einen Untersuchungsausschuss zu genehmigen, geht die Politik davon aus, dass der Schwarze Peter beim Gericht liegt und dieses nun bitte die Aufklärung übernehmen soll und damit gleich alle versöhnen soll, die verbittert und enttäuscht vom Staat sind. Ganz so wie eine Wahrheitskommission.
Götzl soll richten, wo Merkel versagt hat
Diese gibt es immer mal wieder, wenn ein Staat seine eigene Geschichte aufarbeiten möchte. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass es in der Regel eben nicht um die Strafe geht, nicht um Sühne oder Sozialisierung, sondern allein um die Wahrheit. Entsprechend werden sehr milde Urteile gesprochen oder gleich Straflosigkeit versprochen für eine Kooperation der Täter.
Auch wenn Medien und Politik zu hoffen schienen, dass der NSU-Prozess diese Funktion ausüben kann: Es war unmöglich. Und die Richter hatten auch keine Lust darauf.
Das wurde deutlich bei der Problematik um Presseplätze. Die Richter sahen gar kein großes öffentliches Interesse – immerhin ging es ihnen nur um einen ganz normalen Prozess. Und auch, wenn ich mich über die Platzvergabe geärgert habe und mehr Entgegenkommen möglich gewesen wäre: Sie hatten Recht. Es kann keinen Schauprozess geben, nur um Fehler von Behörden und der Politik gut zu machen. Rechtsstaatlichkeit sieht anders aus.
Die Anwälte der Opfer sind zu Recht enttäuscht: Der Prozess ist nicht aufschlussreich, nicht alle Details werden aufgearbeitet, die Opferfamilien zum Teil unsensibel abgewiesen, wenn sie Erklärungen verlesen oder sich sonst äußern wollen.
Die Versöhnung mit den Opferfamilien kann nur politisch sein
Aber: Der Prozess war nie die Plattform dafür. Er kann ihnen die Toten nicht zurückholen. Der Prozess kann keine Fehler ausbügeln. Und versöhnen kann, soll er auch nicht – das ist nicht vorgesehen in einem Rechtsstaat. Der Prozess soll genug aufklären, um die Schuld der Angeklagten festzustellen, er braucht genug Öffentlichkeit, um wahrgenommen zu werden.
Für alles andere aber wäre weiterhin die Politik verantwortlich. Die Minister sind die Chefs der Behörden, sie tragen die Verantwortung. Die Politiker framen die Problematik. Und Gesten, Reden, ja, Versöhnung im Allgemeinen sind Aufgabe der Politik. Nur sie kann ihre eigenen Fehler wieder gut machen, die Opferfamilien trösten und verhindern, dass diese Taten sich wiederholen.
Aber die Politik hat das Thema ja schon abgehakt und verlässt sich darauf, dass der Zorn sich schon auf das Gericht entladen wird.
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