Anachronismen auf der Krim

In der Ukraine haben die Protestierenden den Machtkampf zu ihren Gunsten entscheiden können. In der Berichterstattung war klar: Die Westler haben gewonnen, die Ostler verloren, es gibt kaum andere Aspekte, die da in die Quere kommen könnten. Doch dann kam Russland.

Die genaue Chronologie schaut so aus: Der Russland-freundliche Premier wird abgesetzt und setzt sich nach Russland ab. Daraufhin nimmt die neue Regierung eines seiner Lieblingsprojekte zurück: Ein Gesetz über den Schutz von Minderheitensprachen. Also vor allem ein Gesetz für die russischsprachige Minderheit. Daraufhin kommt es zu Unruhen in der Krim, wo es besonders viele Russischsprachige gibt. Die neue Regionalregierung der Krim bittet um russische Hilfe, und Russland fängt an, Truppen auf die Krim zu schicken.

Man könnte meinen, der Kalte Krieg ist wieder da. Es fängt, ganz klassisch, mit einem Stellvertreter-“Krieg” an: prorussische gegen prowestliche Kräfte. Nach dem Sieg letzterer gilt: Divide et Impera, also schneidet man eine besonders wertvolle Region raus und sorgt dafür, dass diese um Hilfe bittet, um anschließend einzumarschieren. Ziel: Auf keinen Fall ein offener Krieg, aber gleichzeitig soll auf gar keinen Fall ein Stück Einfluss verloren gehen. Den Block wechselt man nicht einfach so.

Und Amerika? Kann nichts machen. Es gibt keine US-Interessen, die in der Ukraine verteidigt werden müssen. Keine Stützpunkte oder Verbündeten. Dafür gibt es eine russische Grenze, die Russland verteidigt, und Machtpolitik im eigenen Hinterhof akzeptiert Amerika ebenso stirnrunzelnd, wie auch andersrum.

Schlimmer noch: Russland beruft sich vage auf ähnliche Prinzipien wie die USA, wenn es um Einsätze geht. Es will die russische Minderheit beschützen (Jugoslawien, anyone?), seine eigenen Interessen schützen (Kuwait!) und außerdem das Recht auf Selbstbestimmung der Krim durchsetzen (Kosovo). Jedenfalls behauptet das Russland. Diese Begründungen erinnern nicht zufällig vage an R2P, und genau wie bei den Einsätzen der USA war der Schutz der Bevölkerung weniger wichtig als konkrete geostrategische Interessen (sonst hätte es in Syrien schon lange einen Einsatz gegeben).

Die USA sind also machtlos. Was wollen sie auch tun? Einen Atomkrieg mit Russland anfangen? So wichtig ist die Krim der Nato nicht.

Wenn die amerikanische Opposition jetzt vom Versagen Obamas spricht, dann hat sie Recht. Obama hat allerdings nicht in der Reaktion auf den russischen Einmarsch versagt, denn militärische Reaktionen sind ausgeschlossen. Obama hat im Vorfeld versagt.

Russland marschiert nämlich vor allem aus einem Grund ein: Sewastopol. Ohne den russischen Marinestützpunkt fehlt Russland ein Zugang zum Schwarzen wie zum Mittelmeer. Unruhe in der Ukraine gefährdet nun ein wichtiges Interesse Russlands in seinem eigenen Hinterhof. Anders als bei den jüngeren US-Einsätzen beschränkt sich Russland nämlich auf seine Grenzen: Ob in Georgien, Zentralasien oder eben der Krim, Russland sind alle Mittel Recht, um seine Interesse zu wahren. Ein Land wie Serbien aber, das weit weg ist und geringen strategischen Wert hat, kann ruhig um den Kosovo verkleinert werden.

Bei den Unruhen in der Ukraine war also klar, das Russland handeln würde. Überraschend ist vielleicht, wie drastisch und schnell Putin reagiert hat, aber die bloße Tatsache, dass etwas passiert, ist nicht unerwartet. Die westliche Diplomatie hätte sich also bemühen müssen, russische Interessen (also Sewastopol) zu wahren. Und da hat Obama versagt.

Dabei ist die Krim nicht einmal prinzipiell unersetzbar. Russland grenzt an das Schwarze Meer. Und anders also oft in den Medien kolportiert, nutzt Russland diese Grenze auch für andere Marinestützpunkte. Und allein schon Sotchi zeigt, dass die Region nicht komplett unterentwickelt und ohne Infrastruktur da steht; eine Verlagerung der Ressourcen wäre prinzipiell möglich.

Warum Russland aber trotzdem so viel Wert auf Sewastopol legt, lässt sich mit zwei Faktoren erklären: Geld und Macht. Jahrzehntelang wurde in den Stützpunkt auf der Krim investiert, jetzt umzudenken würde viel Geld kosten. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die Ukraine in die Nato “abrutscht” – die Nato würde damit direkt vor die russischen Grenzen rücken.

Und das nicht nur an eine schmalen Landgrenze wie in Norwegen oder an den altbekannten Grenzen am Baltikum, nein: Es könnte eine amerikanische Flottenbasis auf der Krim entstehen. Nicht vor Russlands Interessenzone, sondern mitten in ihr. Russlands Marine könnte kaum operieren (immerhin wird schon die Meerenge ins Mittelmeer von einem Nato-Mitglied kontrolliert!), und Amerika würde übermächtig.

Die Amerikanische Diplomatie hätte jetzt Russland beruhigen müssen. Sie hätte klar machen müssen, dass die Ukraine (relativ) neutral bleibt, sie hätte zusammen mit der Ukraine klar machen müssen, dass russische Interessen in Sewastopol und im Schwarzen Meer nicht bedroht sind, und sie hätte deeskalieren müssen, bevor es zum Konflikt kommt, weil so funktioniert nun einmal der Kalte Krieg.

Stattdessen haben USA vergessen, dass Russland wichtig ist. Aus der Supermacht wurde eine Regionalmacht, und die Regionalmacht wurde ignoriert, obwohl was vor ihrer Haustür passiert.

Wie mans also lösen kann? Der Kalte Krieg sagt: gar nicht. Sanktionen werden Russland kaum wehtun, Militäreinsätze können nur zum Patt oder Atomkrieg führen (hoffen wir auf ersteres). Und wohin das führt, haben wir in Georgien gesehen: Jahrelange de facto Autonomie und Annäherung des Zentralstaates an den Westen, sowie anhaltende Instabilität.

Fun Fact: Die Ukraine hat ihre Atomwaffen unter anderem für das Versprechen aufgegeben, dass ihre territoriale Integrität respektiert wird. Der Einmarsch auf die Krim wird andere Staaten kaum ermutigen, es ihr gleich zu tun.

 

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