Ich mag Twitter nicht so gern. Aber wenn ich Nachrichten mache, laufe ich beim twittern zur Hochform auf – alles, was ich unglaublich wichtig finde, was dem gemeinen Medienkonsumenten aber leider nicht zuzumuten ist, muss halt da landen.
Manchmal erscheint es so vollkommen sinnfrei und zufällig, was wir als relevant begreifen und was nicht. Union und SPD verhandeln zum drölfzigsten Mal über immer noch dieselben Themen? Das ist wichtig, das besprechen wir jeden Tag! In einem geostrategisch wichtigen Land wird ein historischer Krieg beendet? Vielleicht ne kurze Meldung.
1) Bin ich betroffen?
Was wir wichtig finden und was nicht hat viel mit Betroffenheit zu tun. Das macht ja auch Sinn, man ist sich immer noch selbst der nächste. Interessant wird es aber, wenn man sich “das Ausland” anschaut. Manche Länder werden fast komplett von Nachrichtenagenturen und Medien ignoriert, bei anderen wird jeder umgefallene Sack Reis thematisiert.
Vergleichen wir doch mal den Kongo (DRC) mit Syrien. Der Kongo ist der zweitgrößte Staat Afrikas, er hat unzählige Ressourcen, war Spielball der Mächte im Kalten Krieg und grenzt an die Zentralafrikanische Republik (wichtiges Land für Frankreich), Südsudan (ein Dauer-Konflikt) und Ruanda (da war doch war, Völkermord und wir schauen zu). Es gäbe also gute Gründe, ein Auge auf den Kongo zu haben. Ja, die Gewalt hält dort seit den 60ern an, aber die M23-Bewegung war gut organisiert und qualitativ anders als andere bewaffnete Gruppen. Und, wichtiger noch: Das Vorgehen der UN mit ihrem “robusten” Mandat war neu, Blauhelme haben den Krieg (mit-)gewonnen. Nimmt man dann noch Rebellenführer hinzu, die sich von Deutschland aus organisiert haben, waren wir theoretisch mitten drin. Nur wissen tun das erstaunlich wenige.
2) Reden andere auch über das Land?
Syrien hatte eine vergleichbare Opferzahl, und geostrategisch ist es eigentlich weniger wichtig. Gut, es ist ein Verbündeter des Iran, aber der war auch so schon weitestgehend isoliert. Es gibt vergleichsweise wenige Kurden, ihre Autonomie wird also weniger Auswirkungen haben als die der Kurden im Irak. Strategie kann also kein Grund sein, und das Leid war ebenfalls vergleichbar. Warum also ist Syrien deutlich präsenter als der Kongo?
Generell scheint es eine Abneigung gegen Afrika-Themen zu geben. Wer hat in letzter Zeit was von Eritrea gehört? Eritrea ist eine der schlimmsten Diktaturen der Welt, in entsprechenden Rankings (bspw Pressefreiheit) belegt es regelmäßig den letzten Platz (ja, oft genug vor Nordkorea). Natürlich gibt es dadurch weniger Informationen aus Eritrea.
Das hat aber auch den Effekt, dass die Informationen, die es dann gibt, als weniger wichtig bewertet werden. Medienmenschen sind Rudeltiere: Sicher ist man, wenn man über Dinge berichtet, über die man schon so ähnlich gelesen hat. Darum geht auch Naher Osten immer.
3) Kriegen wir Informationen?
Strukturell sieht man das daran, wo die Korrespondenten sitzen – natürlich da, wo es früher mal die Stories gab. Mit der Konsequenz, dass es in Zukunft auch mehr Geschichten aus diesen Ländern geben wird. Der arabische Frühling wird den Nahen Osten bereichert haben mit Korrespondenten, die da erstmal eine Weile bleiben dürften. Afrika dagegen…Nunja.
Man sieht diesen Effekt sehr schön wenn man regelmäßig bestimmte Zeitungen liest. Die taz beispielsweise hat wohl gute Afrika-Korrespondenten, da hat sie auch brav entsprechende Themen abgedeckt. Der Spiegel und die Zeit können gut Nahen Osten, die SZ Amerika.
4) Kann der Redakteur die Meldung überhaupt einordnen?
Eine besondere Herausforderung ist es, genau die richtige Menge an Hintergrundwissen mitzubringen, um ein Thema zu würdigen. Weiß man zuviel, nimmt man das Thema wahrscheinlich zu ernst. Der Japanologe könnte den ganzen Tag nur über Japan berichten, weil er weiß, warum die Meldungen wichtig sind; aber er würde dabei den Fokus verlieren. Andererseits kann es aber auch sein, dass etwas wirklich wichtiges in einem weitestgehend unbekannten Land passiert. Was aber, wenn ich nicht weiß, dass das wichtig ist?
Der Klassiker dabei sind Dinge, die mit der UN zu tun haben. Die UN tut eigentlich dauernd etwas. Wirklich sehr viele Dinge sind rein symbolisch, aber einige Dinge sind auch extremst wichtig und haben konkrete Auswirkungen auf Staaten, Politik und internationale Wirtschaft. Theoretisch müsste ich mich mit der UN auskennen, um das beurteilen zu können; praktisch hoffe ich meist, dass die Einschätzungen anderer Medien zu vergleichbaren Fällen schon gestimmt haben. Wenn die Medien aber nie darüber berichtet haben (weil es etwa um Eritrea ging), dann kann so eine Nachricht schnell wegfallen.
Nachrichten sind nicht neutral, sie versuchen, neutral zu sein, und sind politisch in ihren Auswirkungen.
Das Endet also damit, dass der Redakteur immer versucht, möglichst objektiv zu bleiben und Journalisten sich Kriterien überlegen, um Relevanz zu bestimmen. Letztlich sind sie aber von Rahmenbedingungen (kriege ich die Informationen?) ebenso abhängig wie von (Fehl-)Entscheidungen anderer Redaktionen (haben die anderen drüber berichtet?) und ihrem eigenen Kenntnisstand. Letztlich kann man nur versuchen, so neutral wie möglich zu bleiben. Man sollte sich aber bewusst sein, dass man befangen ist, und dass diese Befangenheit politisch ist, denn sie prägt den Diskurs, indem sie Bilder schafft und künftige Redakteure in bestimmte Richtungen lenkt. Denn ich orientiere mich heute an anderen, morgen aber orientieren die sich an mir.