Zu spät für Frieden in Syrien?

Morgen werden die UN-Inspekteure Syrien verlassen. Unabhängig von ihrem Bericht rüsten sich schon alle fleißig für einen Militärschlag; London wird auf den Bericht warten müssen, aber Obama wird wohl eher nicht auf den Verbündeten warten. Die Türkei, Russland, und Iran rasseln brav mit den Säbeln, Israel bereitet sich auf Vergeltungsschläge vor. Und wie genau soll das der Bevölkerung helfen?

Das Dilemma Syriens fängt eigentlich mit dem Erfolg des arabischen Frühlings an. Wenige hatten es erwartet, aber in Tunesien war die Revolution vorbei, bevor sie richtig begonnen hatte. In Ägypten dauerte es etwas länger, dafür ist Ägypten aber auch wichtiger und repräsentativer für die arabische Welt. Und in Libyen dauerte es zwar länger, aber nach einem Krieg mit Nato-Interstützung waren die Revolutionäre auch da erfolgreich. Der Westen, erst sehr zaghaft und vorsichtig, hatte spätestens mit Libyen auf regime change gesetzt und hoffte auf ein schnelles Ende des arabischen Frühlings, entweder so wie in Saudi-Arabien, oder eben so erfolgreich wie in Nordafrika.

Der arabische Frühling ist Syriens Fluch

In Syrien war jetzt der einzige echte Feind der USA mit diesen Umwälzungen konfrontiert, die zu unterstützen man sich kurz vor ihrem Ende beschlossen hatte. Jetzt bloß nicht so zaghaft erscheinen wie in Tunesien oder Ägypten! Dann doch lieber wie in Libyen auf einen Umsturz hinarbeiten, denn der arabische Frühling schien nicht nur unstoppbar, es war auch strategisch sehr nützlich, Irans einzigen Verbündeten in der Region zu stürzen. Iran und Russland wollten nun genau das Gegenteil. Noch ein Staat, der verschwindet und entweder politisch inaktiv oder zu einem weiteren Nato-Verbündeten wird? Unmöglich!

Also mussten beide Seiten das Radikale verlangen. Die eine Seite schloss den Machtwechsel kategorisch aus, die andere wollte ihn um jeden Preis forcieren. Gut, Russland schlug irgendwann mal halbherzig vor, dass Assad eventuell irgenwie die Opposition einbinden könnte, wenn es Frieden gäbe. Aber der Vorschlag war isoliert und hatte wenig Unterstützung in Syrien, wo die Fronten sich immer weiter verhärteten. So funktioniert Krieg: je länger er dauert, desto mehr hassen sie die Gegner und desto weniger vertrauen sie sich.

Anstatt aber direkt einzugreifen, wurde nur mit einem Einsatz gedroht. Der Effekt? Assad musste sich beeilen, ein Ende erzwingen. Die Gewalteskalation hatte auch mit der westlichen Diffusität zu tun. Ein Einsatz hätte sie ebenso verhindert wie das Versprechen, nicht zu intervenieren – indem man sich aber alles offen hielt, wurde weitere, massivere Gewalt durch das Regime zur rationalen Reaktion. Denn wenn die Revolution beendet werden kann, bevor jemand einmarschiert, gibt es auch keinen Grund mehr, einzumarschieren.

Ein wirklicher Frieden hätte nur dann erreicht werden können. Wenn nämlich alle Beteiligten – Russland, die Türkei, die USA, und ja, da hat Augstein mal recht, auch der Iran – sich darauf geeinigt hätten, die Vermittlungen der UN zu unterstützen. Keine Lieferungen an irgendwen (ja, ein totales militärisches Embargo!), eine Flugsicherheitszone, Hilfslieferungen mit Medikamenten und Nahrung in ALLE Gebiete, und mit Druck auf die jeweiligen Protegés zu verhandeln.

Nur Verhandlungen helfen der Zivilbevölkerung

Hätte, hätte, Fahrradekette – das alles hätte leider nur der Zivilbevölkerung geholfen, und um die ging es nie. Jeder fühlt sich bedroht, hat Angst, dass seine eigene Sicherheitsarchitektur zerstört wird. Die Ängste der jeweiligen (Regional-)Mächte – Iran, Golfstaaten, Türkei, Russland, USA – werden aber eben nicht ernst genommen vom jeweils anderen. Und darum füttert jeder seine eigene jeweilige Lieblingsgruppe mit Geld, Waffen, und diplomatischer Unterstützung.

Besonders schön sichtbar wird dieses Problem jetzt an dem diskutierten Schlag gegen Syrien. Also Obama hatte irgendwann mal gesagt, Chemiewaffen seien eine rote Linie. Jetzt hat Assad wahrscheinlich welche eingesetzt (aber wirklich beweisen muss man das nicht). Obama muss zurückschlagen. Aber nicht, weil er die Zivilbevölkerung lieb hat; nein, er muss nur irgendwie ernst genommen werden in der Region. Wer nicht auf sein Ultimatum hört, der muss halt spüren, sonst wird es nichts mit der Hegemonialmacht USA.

Denn was bringen Raketen gegen Assad der Bevölkerung? Schutz? Nein, eher Kollateralschaden. Wird Assad dann weniger aggressiv vorgehen? Warum sollte er? Wird man seine militärischen Kapazitäten ernsthaft genug beschädigen können, um der Opposition zu helfen? Kommt darauf an, aber wahrscheinlich nicht genug, um den Krieg bald zu beenden. Es könnte höchstens dafür ausreichen, seine Dominanz weiter zu brechen und den Krieg damit um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, zu verlängern.

Zu feige für einen “echten Einsatz”, zu ehrgeizig für Frieden

Wer Syrien wirklich helfen will, kümmert sich um eine friedliche Lösung. Wer das mit einer Bestrafung Assads wegen des Einsatzes von Chemiewaffen kombinieren will, der holt wenigstens boots on the ground, um nicht nur mit Raketen größtmöglichen Schaden zuzufügen, sondern zumindest eine Chance zu haben, irgendwen zu beschützen und anschließend einen Friedensprozess zu initiieren, bei dem auch Iran und Russland mitreden dürfen (denn ein weiterer von der Nato besetzter Staat an Irans Grenzen kann von diesem nur als Bedrohung verstanden werden).

Das ist aber leider illusorisch, denn das würde kosten. Geld, politische Macht, und Engagement wären Ressourcen, die leider niemand in diesen Konflikt einbringen möchte, denn so wichtig ist Syrien den meisten dann doch nicht.

Und deswegen wird der Einsatz, der wohl kommende Woche stattfinden wird, aus humanistischer Perspektive, sinnlose Gewalt ohne Vision und ohne konstruktive Lösungsansätze sein. Schlimmer noch: er wird die Fronten weiter verhärten und es schwieriger machen, einen Frieden zu schließen.

Wenn es dafür nicht gleich den nächsten Nobelpreis gibt.

 

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5 thoughts on “Zu spät für Frieden in Syrien?”

  1. so siehts wohl aus. wie ist eigentlich dein “wahrscheinlich” zu interpretieren? was hätte das regime denn durch den einsatz von chemiewaffen gegen zivilisten zu gewinnen? es sollte denen doch bekannt sein, dass man sich damit unter der eigenen bevölkerung und insbesondere im ausland nur mehr feinde macht. wenn die story diesbezüglich, die uns kerry und obama verkaufen wollen stimmte, hieße das doch, dass assad wohl mehr oder weniger im hitler-im-bunker-modus angekommen wäre, was merkwürdig scheint, weil er den krieg ohne westliche intervention doch wohl in endlicher zeit gewinnen würde. klingt für mich schlicht nach bullshit a la curveball 2003.

    Und wie gut das mit den boots on the ground funktioniert, haben wir ja damals auch schon gesehen.

     
    1. Das wahrscheinlich ist so zu verstehen, dass es Indizien gibt für ne Verantwortung des Militärs. Das wichtigste? Chemiewaffen sind nicht so einfach zu kriegen. Aber natürlich: Es könnten genauso gut irgendwelche anderen Gruppen gewesen sein.

      Nur das Argument “was würde es dem Regime bringen” zieht nicht ganz. Denn das Militär in Syrien wird kaum einheitlich und immer rational handeln.

       
  2. Schwierig zu beurteilen, das Ganze, erst recht zu diesen Zeitpunkt und aus diesen Entfernung. Zumal die deutschen Medien natürich so irreführend und interessegeleitet berichten wie sonst auch. Richt aber alles ein bisschen verdächtig, finde ich.

    Der andere Kommentator hier hat natürlich damit recht, dass Assad und seine Leute durch einen Giftgaseinsatz mehr zu verlieren als zu gewinnen hätten.
    Aber wo sollen die Rebellen den Stoff herbekommen haben? Von ihren westlichen Verbündeten? Und warum sollen dann Russland, Iran und Co. nichts davon mitbekommen haben? Die sind ja auch nicht blöd und hätten sowas wahrscheinlich erwartet. Und würden außenpolitisch mächtig davon profitieren, es öffentlich zu machen.

    Der gute, alte deutsche Reflex wäre wohl, zu sagen: “Die Amis halt. In Syrien gibt’s halt Öl und so.” Aber ich finde das auch nicht sonderlich überzeugend. Es ist nicht mehr 2003, die amerikanische Bevölkerung ist kriegsmüde wie ewig nicht mehr und für die regierenden Demokraten hat sich damit die Wiederwahl wohl endgültig erledigt. Und so viel zu holen gibt es in Syrien auch in geostrategischer und ökonomischer Hinsicht für die USA auch nicht, dass sich das lohnen würde.

    Ich finde, das stinkt nach CIA oder irgendeinen anderen Geheimdienst.
    Als Obama Giftgaseinsatz zur Roten Linie erklärt hatte, schwang da auch ein bisschen mit, dass das für ihn der einzige legitime Grund für einen Kriegseinsatz wäre.
    Und kurze Zeit später tritt das dann auch tatsächlich ein. Das erscheint mir einfach als ein zu großer Zufall.
    In dem Fall erübrigt sich auch die Frage nach Zielen und Motiven, denn wer weiß schon, was diese Leute so alles planen?

     

Juhu! Jemand, der nicht bei facebook kommentiert! Oldschool!