Jüngst übermannt der nächste Hashtag das deutsche Twitterverse, schwappt über in die Feuilletons (oder wird in Deutschland Deutsch gesprochen, sprich, Blättertum?), provoziert die Netnazis: #Schauhin.
Menschen berichten davon, angespuckt zu werden, schlechter in Geschäften bedient zu werden, auf Grund ihrer Namen mit ethnisch angepassten Angeboten überrascht zu werden. Und, auf vielleicht weniger böswilliger Ebene, nach deren Herkunft gefragt zu werden.
Ich, als Mensch mit ethnischem Hintergrund, dessen Beschreibung drei oder mehr Wörter benötigt (gebürtig-rheinländischer Deutsch-Amerikaner mit südchinesisch-rheinhessischen Wurzeln), sollte mich in den vielen alltagsrassistischen Anekdoten doch irgendwo wiederfinden, die von zu Recht und zu Unrecht (?) empörten Netizens zum Aufschrei hinzugefügt werden. Hinzukommen (im Sinne einer generellen Verdächtigkeit, die eine konservative Leitgesellschaft formulieren könnte) zerzauster Bart, lange schwarze Haare, und ein doch eher studentisch angehauchter Kleidungsstil.
Und doch sitze ich kopfkratzend vor dem Bildschirm, erstaunt über Erzählungen, die ich in alte Zeiten eingeordnet hätte, oder zumindest in ein anderes Land (meine Mutter unterstellt Süddeutschen und Schweizern, es auf sie als Ausländerin abgesehen zu haben). Ich wundere mich, bin ich nicht farbig genug? Pflege ich meinen braunen Teint, meine visuelle Andersheit nicht genug, als dass ich eine glaubwürdige Bedrohung für eine urdeutsche Gesellschaft darstelle?
Gewiss, im Vergleich zu vielen anderen “Ausländern” habe ich das Glück, in eine privilegierte, “biodeutsche” (mit Freilaufgehege und ohne Pestizide) Stellung hineingeboren worden zu sein, eine, die mich früh in bildungsbürgerliche Kreise einführte, und per Abstammung aus just einer solchen bildungsbürgerlichen Ahnenreihe mir doch einen bestimmten Habitus und Selbstverständnis verlieh.
Und trotzdem sollte ich eine große, wandelnde Zielscheibe für Alltagsrassisten sein – aber warum fühle ich mich nicht so?
Bin ich zu whitewashed? Merke ich nicht, wie ich behandelt werden sollte, wie es in unserer heutigen verdeckten Klassengesellschaft einem Kind aus gutem Hause gebührt? Übersehe ich (willentlich?) einfach irgendetwas?
Halte ich mich vielleicht einfach am falschen Ort auf? Sollte ich mich in die Hauptstadt des deutschen Twitterverse begeben (die ich dem Bauchgefühl nach irgendwo zwischen Prenzlauer Berg, St. Pauli und Kreuzberg verordne), um mal endlich richtig diskriminiert zu werden?
Vielleicht ist das vermeintlich liberalere Rheinland schuld dran, dass ich mich nicht wie ein richtiger Ausländer fühlen darf. Ich jedenfalls kann mich an wenige Gelegenheiten erinnern, wo mich die Sachbearbeiter im Stadthaus diskriminierend angesehen haben (ein Schwätzchen kam oft zu stande), wo mich Bäckersfrauen nicht gerne bedienen, oder ich meines Aussehens wegen nicht am Türsteher vorbeikam. Sollte ich mehr Provinzluft schnuppern, oder Großstadtpflaster bewandern, um solche Erfahrungen machen zu dürfen?
Ich möchte nicht falsch verstanden werden, in Deutschland gibt es genügend Rassismus, der auch offen zur Schau getragen wird. Wenn man als Kind Schlitzauge genannt wird, einem schale Chinesen-essen-doch-Hunde,-wann-esst-ihr-euren?-Witze vorgelacht werden, einem viel von der bösen Übermacht der Chinesen erzählt wird, dann sieht man leider eine andere Seite Deutschlands, die aber auch in jeder Kultur aufzufinden ist. Deutschland hat seine rassistischen Probleme, die nicht zu verleugnen sind und hoffentlich jedem bewusst sind.
Und doch ist einiges, was manchmal als “Rassismus” bezeichnet wird, vielleicht etwas anders einzustufen. Was vielleicht einem Menschen, der sich eh von einer Mehrheitsgesellschaft angefeindet fühlt, als weitere Demütigung erscheint, kann mit wenig Böswillen gemeint sein. Kann eine nett gemeinte Geste immer gleich rassistisch sein?
Nehmen wir zum Beispiel die klassische Wo-kommst-du-her?-Frage. Ist diese Frage nach der Herkunft, die augenscheinlich auf dem nicht “biodeutschen” Stereotyp beruht, gerechtfertigt? Ist dies als freundliches Interesse am “Fremden” zu werten, oder doch als Us-versus-Them-Verhalten? Ich für meinen Teil werde so etwas oft gefragt, in etwa jedem Teil der Welt (mit Ausnahme der USA, die sich entweder ob des Melting-Pot-Effekts darum keine Gedanken machen oder ob schon stabil gezimmerter Schubladen ohne Nachfragen ein Individuum einsortieren können). Ich werte so etwas als freundlich und entgegenkommend; wäre die Person fremdenfeindlich, würde sie sich im Zweifel eh nicht in ein Gespräch mit “so Einem” verwickeln lassen. Ich versuche, meinen komplizierteren Hintergrund schnell zu erklären. Irritierend werden solche Gespräche nur dann, wenn Ungläubige meine Erklärungen nicht glauben wollen. Ein “Wo kommst du wirklich her?”, auch wenn ich es lächelnd beantworte, ist doch eine unfreundliche Frage – abgesehen von mitschwingender Ausgrenzung ist es einfach unhöflich, seinem Gesprächspartner partout eine Aussage nicht glauben zu wollen.
Ich habe, so scheint’s, durch Gnade des Flying Spaghetti Monsters das Glück erhalten, die meisten alltagsrassistischen Erfahrungen nicht machen müssen zu dürfen. Ich frage mich aber immer noch, warum?
Um Zuschrift wird gebeten.
Bist du Deutscher? Dann wärst du nämlich Amerika(no)-Deutscher. Deutsch-Amerikaner leben der Wortlogik nach als Amerikaner mit deutschen Wurzeln in Amerika.
Als blütenweißer Biodeutscher kann ich dir nur begrenzt weiterhelfen. Bei tiefsitzendem Diskriminierungsbedürfnis kann ich aber gönnerhafte Verbesserung des anglizistisischen Deutsch anbieten:
Netzbewohner, weißgewaschen, Twitterversum (“Zwitscherversum” weniger angebracht weil Eigenname), Wir-gegen-die-Anderen-Effekt, Schmelztiegel, starrköpfig (Eindeutschung “partu” wäre auch legitim und nicht unoriginell), fliegendes Spag(h)ettimonster.
Du beantwortest deine Frage bereits selbst. “Ausländer” sind nicht gleich “Ausländer”. Faktoren, die zu verstärkter Ausgrenzung führen, sind meinen Beobachtungen nach das unmittelbare Umfeld (Stadt oder Land, politisch konservativ oder sozialliberal, “ethnische” Zusammensetzung), Elternhaus(nicht)privilegien wie sozialer Status, Kontakte, Bildung oder Förderpotenzial, aber auch Geschlecht. Also alles Dinge, die weniger mit dem Phänotypen als mit dem Habitus zusammehängen. Ist dieser normkonform, stößt man auf weniger Ablehnung: Gute Bildung, Eloquenz, gesundes Selbstbewusstsein und die richtigen Leute um einen herum machen das Leben leichter. Manchmal macht ein gewünschter Habitustyp das Äußere wett.
Anders ist es, wenn die eigene Familie immer am Existenzminimum gelebt hat, niemand einem für gute Noten auf die Schulter klopft und man sieht, wie die Eltern für ihr Deutsch und ihr Äußeres (=offensichtlich billige, abgetragene Klamotten in nicht so “angesagten” Farben) ausgelacht werden. Wenn man nicht gelernt hat, “wie man sich benimmt” (zum Beispiel zu Tisch). Wenn alles, was man seit frühester Kindheit tut und ist, in Frage gestellt wird: Woher kommst du wirklich? Du sprichst aber gut Deutsch! Du willst wirklich aufs Gymnasium? Sag mal deinen Eltern, die sollen Deutsch lernen! Wenn jede Verhaltensweise genau gemustert wird: Nein, du bist nicht wie die anderen Ausländer. Ihr Asiaten seid so fleißig! – oder einmal verfolgte mich im Laden eine Frau auf Schritt und Tritt, weil sie Angst hatte, ich würde was klauen. Meine weiße Freundin, die mit dabei war, beachtete sie nicht.
Dann entwickelt man sich eher nicht so zum eloquenten, selbstbewussten Menschen, der nur so vor Bildung strotzt, dann ist man plötzlich “Ausländer”. Ich glaube, wenn ich mich mal ernsthaft hinsetzen würde, würden mir im Minutentakt #schauhin-Tweets einfallen.
Jaja, sagst du vielleicht, Intersektionalität ist dir kein Fremdwort: Was ist aber mit Rassismus, also nur Rassismus? Es ist leider so, dass verschiedene Phänotypen verschieden gelesen werden. Im gegenwärtigen kulturellen und historischen Kontext sind schlimm: Alles, was nach “muslimisch” aussieht (wegen Terrorgefahr und Scharia), und Schwarze. Letzteres begründet sich vermutlich durch ein komplexes, jahrhundertelang in die Köpfe der Leute eingeimpftes Rechtfertigungskonstrukt für den transatlantischen Sklavenhandel und den westlichen Imperialismus.
In beide Kategorien fällst du mit “südchinesisch-rheinhessischen Wurzeln” vermutlich eher nicht. Dein Elternhaus und deine soziale Umgebung hatten vermutlich begünstigt, dass du nicht so viele oder gar keine Rassismuserfahrungen machen musstest. Studentisch aussehen ist in dieser wettbewerbsorientierten Welt auch nicht verkehrt :)
Aber wie immer kann man das so pauschal nicht sagen, das sind nur Vermutungen…
Vanessa