2013-08-25 / 16:06 / Espresso / Köln
Ich finde es schade, dass Menschen wie Niklas Luhmann und Loriot schon länger tot sind. Sie hätten viel dazu zu sagen gehabt, dass junge Menschen ihren Freundeskreis als „mein Umfeld“ bezeichnen. Jetzt muss ich es versuchen und schaffe es wahrscheinlich nicht so gut.
Was sagte man in meiner Kindheit und Jugend?
Freundeskreis ist der Terminus technicus, der vermutlich aus dem Kirchenkreis und der Grundschule kommt. Ein freundlicher Begriff, ein warmer Begriff. Man denkt an die anderen, die mit einem im Kreis standen auf dem Schulhof und wenn man auf den Bus gewartet hat oder darauf, dass jemand das Klassenzimmer aufschließt.
Freunde ist sehr verbindlich. Viele wollen nicht mehr ihre Freunde so pauschal als Freunde bezeichnen, weil die Freundeslisten der sozialen Netzwerke sie dazu gedrängt zu haben, nach Interessennetzwerken und engeren und weniger engen Freunden zu differenzieren. Das ist zu nah, das traut sich heute keiner mehr so richtig, jemanden richtig als Freund zu bezeichnen. Das beinhaltet Verpflichtungen, die dem modernen Netzwerker nicht so ganz geheuer sind. Das ist old school und riecht nach Schiller und Sturm-und-Drang oder Bibelkreis oder die Igelgruppe im Kindergarten oder Bündnis 90/Die Grünen.
Genossen ist ein sehr klassischer Begriff und sieht alle Mitstreiter als Freunde an. Seit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums ist er nur noch in verschworenen oder nostalgischen Zirkeln en vogue. Er ist immer noch in Nordkorea und China in Mode und kommt gerade zusammen mit dem „Held der Arbeit“, dem „feindlichen Agenten“ und sicher auch bald mit dem „konterrevolutionären Kapital“ in Russland wieder auf.
Bekanntenkreis ist der unverbindliche Bruder des Kreises der Freunde. Hier will man sich nicht zu verbindlich gegenüber den Freunden geben, möchte aber nicht von dem Bild des runden und harmonischen Kreises lassen. Wahrscheinlich in der etwas offizieller klingenden Umgangssprache weiterhin modern und zutreffend.
Bekannte klingt sehr unverbindlich und weitfassend, weil der Begriff oft auch Leute einschließt, die man eigentlich verabscheut oder zumindest meidet. Sagt meist nicht mehr aus, als dass man der Person begegnet ist, möglicherweise tot auf einer Beerdigung oder mit einem Meter Panzerglas dazwischen. Oder hat man ihn mal eine Sekunde im Fernsehen bei einer Reportage gesehen? Oder von ihm gelesen?
Homies/Hood ist entweder milieuspezifisch oder von Möchtergern-Coolen missbraucht. Ich kann darüber nichts sagen, ich schreibe nicht über Dinge, von denen ich nichts weiß. Wie die meisten sehr milieuspezifischen Freundesbezeichnungen (alda, alla, Digga, Drecks***, Uschi, ette, Olla, Penna, Mensch, Opfer, Flasche, Buddy, Wonnepfropfen, pals, ladyboys, crew, gang, crowd, team, power rangers, tschakas, band…) ist ihre soziale Einbettung höchst situations- und personenbezogen. Nähere Eingrenzungen würden unzutreffend sein und man möge einfach Beispiele aus dem eigenen… Umfeld heranziehen.
Da ist es, das Umfeld. Ein Begriff aus der Elektrophysik, das „Spannungsfeld“, scheint dahinter zu stecken. Oder eben die Systembeschreibungen eines Ferdinand de Saussure oder modernen Kybernetikers. Worüber wir reden, es ist das handelnde Subjekt des deutschen Soziallebens als ein Bestandteil von Punkten, die miteinander vernetzt sind. Diejenigen, mit denen man sozial zu tun hat, sind als die umliegenden Punkte dargestellt, mit denen man vielerlei sozial-politisch-zeitliche Verbindungen hat und – wie auch auf der Grafik ersichtlich – auch räumliche Nähe teilt. Diejenigen, die weiter weg und trotzdem verbunden sind, werden konsequent als „entferntes Umfeld“ bezeichnet.
Dieses Verständnis der eigenen sozialen Wirklichkeit ist in der Erwachsenwerdung des handelnden Subjekts schon einige Stufen über den Disney Club hinaus, der in meiner Kindheit einen Großteil von „Spaß haben mit anderen Kindern“ definierte. Darauf läuft es heute auch hinaus. Irgendwie will man in der vom Arbeitsalltag zugestandenen sogenannten „Freizeit“ auch als Erwachsener Spaß haben.
Dabei hilft das Umfeld, in dem man sich als Teilchen unter vielen wohlfühlen kann. Es kommt zu Feldspannungen und Abstoßungsprozessen. Die Anordung der Umfeldpunkte (= je ein Mensch) ändert sich, das ist also eine Art Flussgrafik. In der nächsten Stufe können wir uns die Beziehungslinien als Funktionspfeile vorstellen, die eine zeitlich abhängige Dynamik zwischen den beiden Punkten resultiert und die Punkte zueinander über die Zeit hinweg beeinflusst. Es fehlt noch eine mathematische Funktion, diesen Zusammenhang logisch korrekt für den geneigten Leser nachvollziehbar macht.
Verlassen wir die Terminologie für den Rest des Texts und holen einmal tief Luft und erinnern uns, dass es Vögel gibt, frische Luft und Regenschauer, damit diese grausamen Funktionsbezeichnungen unseres Soziallebens verblassen und wegschwimmen. Ist irgendetwas schlimm an diesem „Umfeld“?
Sollte man im Leben Freunde und Bekannte, oder lieber ein dicht gepunktetes Umfeld suchen? Was entspricht eher der menschlichen Natur? Sind wir Funktionsbenutzer zu anderen Umfeldpunkten? Fallen wir durch das Netz der Mitmenschen, wenn wir keine starken Funktionen mehr zu den anderen Punkten aufbauen (frei nach Kafka)? Kann man aus diesem Punktemodell irgendeine Art on StartUp oder App entwickeln, um Geld damit zu verdienen? Mit ganz vielen dynamischen Pfeilen?
Kann man eigentlich Neologismen loswerden, ohne dass man sie mit viel Aufwand zum Unwort des Jahres wählen muss?