Was Öcalan so sexy macht

Momentan geht es in den Medien ja eigentlich nur noch um Zypern. Währenddessen findet gerade ein historischer Friedensprozess statt, der dazu beitragen könnte, die gesamte Sicherheitsstruktur und Machtbalance in Nahen Osten zu verschieben, wie beiläufig begleitet von einem der blutigsten Bürgerkriege in der Region und der größten Demokratiebewegung bisher. Aus dem ganzen kann die Türkei nur profitieren, wenn sie sich mit dem kurdischen Anführer Öcalan einig wird.

Erdogan, als rechter türkischer Politiker, und Netanjahu, als rechter israelischer Politiker, haben sich ja alle Mühe gegeben, die Kraftverhältnisse im Nahen Osten zu verändern, jeweils zu ihren Gunsten. Gleichzeitig sind die auf Konfliktkurs gegangen. Beide konnten es sich leisten: Netanjahu ignorierte die Meinung des Auslands und konzentrierte sich auf den Machtkampf mit den Palästinensern, Erdogan ging es darum, eine neue, aktivere türkische Politik zu festigen.

Zentral dabei sind dabei Ideen Davutoglus – salopp gesagt heißt das, keine Probleme, aktivere Außenpolitik, viele Gespräche, und dabei, langsam, eigene Interessen vertreten. Bekannt wurde der Begriff “Neo-Osmanismus” – auch, wenn manche es gerne implizieren, bezeichnet der Begriff nicht primär eine Neokoloniale Politik, sondern den Versuch, eine Interessensphäre zu definieren und kulturelle sowie historische Gemeinsamkeiten mit ehemaligen “osmanischen” Ländern zu betonen.

Das Problem dabei: Der Denkansatz ging von internen, zu lösenden Konflikten aus und hin zu externen Einflussmöglichkeiten. Konfliktresolution ist schwer in einem solchen Modell, und selbst wenn, dann nur diplomatischer Konflikt: Krieg wurde weitestgehend ignoriert von der türkischen Politik, einer der Gründe, warum man sich auch nicht am Irakkrieg beteiligen wollte.

Seitdem hat sich einiges geändert. Der Irak zerfällt, die kurdische Regionalregierung ist de facto autonom und der Prozess scheint momentan nur durch Gewalt umzukehren sein, wenn überhaupt. Syrien befindet sich mitten in einem blutigen Bürgerkrieg und zerfällt, auch dort spielen die Kurden eine wichtige Rolle. Der Libanon zeigt erste Anzeichen von Instabilität. Im Iran und in der Türkei gibt es blutige Konftlike mit kurdischen Gruppen.

Kurz gesagt: Die türkische Außenpolitik ist daran gescheitert, Kriege an ihren Grenzen aufzuhalten. Bei jedem einzelnen Krieg aber spielen die Kurden eine wichtige Rolle. Gleichzeitig scheint absehbar, dass es mehr kurdische Regionalregierungen oder zumindest kurdische Beteiligung an Regierungen geben wird, die direkt an der türkischen Grenze Macht ausüben.

Für die Türkei heißt das, dass es immer mehr Ansprechpartner haben wird und Instabilität an seinen Außengrenzen. Währenddessem sind aber diese Ansprechpartner unzuverlässig, und solange die Türkei weiter einen Bürgerkrieg mit der PKK führt, sind kurdische Gruppen der Türkei auch nicht gerade wohl gesonnen. Dabei haben sie oft ähnliche Interessen: Ankara will, genauso wie kurdische Gruppen, Stabilität, weniger Einfluss aus Teheran sowie wirtschaftliche Investitionen.

Das beste Beispiel ist die kurdische Regionalregierung im Irak. Sie befindet sich zwar theoretisch im Konflikt mit Ankara, gleichzeitig aber hat sie die Wahl, ob sie ihr Erdöl an den irakischen politischen Konkurrenten in Bagdad mit wenig wirtschaftlichem Potential verkauft oder lieber an boomende, finanzstarke türkische Investoren ohne politische Ambitionen. Bagdad wird von Teheran gestützt, also ist die Türkei ein wichtiger Partner für die Kurden. Die einzige Hürde ist der türkisch-kurdische Konflikt.

Darum ist es für Erdogan so wichtig, dass der Friedensprozess mit den Kurden erfolgreich ist. Ein Frieden würde bedeuten, dass die Türkei enormen Spielraum gewinnt. Sie könnte die Beziehungen mit den irakischen Kurden intensivieren. Sie könnte sich stärker auf Syrien konzentrieren. Und sie könnte den iranischen Einfluss in der Region eindämmen – die Beziehungen zum Iran hatten sich zwar zeitweise verbessert, aber es ist doch einer der Hauptkonkurrenten in der Region.

Wie werden Syrien, Irak und Libanon in 10 Jahren aussehen? Die Frage scheint kaum zu beantworten. Gerade weil es aber so viel Unklarheit, so viel Gestaltungsspielraum gibt, gewinnen bestehende Allianzen an Bedeutung. Und da kommt die israelische Entschuldigung wegen des Vorfalls auf der Mavi Marmara ins Spiel.

Obama ist klar, dass die US Politik im Nahen Osten sich ändern wird. Bestehende Pfeiler, wie etwa die Beziehungen zu Ägypten, sind stark ins wanken geraten. Andere Regierungen stehen unter Druck, Instabilität nimmt zu. Die USA haben zwei verlässliche, wirtschaftliche und militärisch starke Partner in der Region: Israel und die Türkei. In Zeiten des Friedens und der Stabilität schadet etwas Uneinigkeit nicht – jetzt dürfte der Druck, zusammenzuarbeiten, aber doch zu groß geworden sein. Also wieder zurück zu alten Allianzen.

Die neue türkische Außenpolitik war wirtschaftlich erfolgreich, aber sie hat es nicht geschafft, für Stabilität zu sorgen – also müssen alte Allianzen her, als Rückgrat für die neue Ordnung im Nahen Osten. Und Israel konnte es sich leisten, isoliert zu sein, solange es nicht gestalten wollte – wenn es aber verhindern will, dass der syrischer Bürgerkrieg auf sein Gebiet übergreift, braucht es Partner wie die Türkei.

Das heißt natürlich nicht, dass sich der Ton nicht ändern wird. Grundsätzlich aber war die türkisch-israelische Allianz nie gefährdet, jedenfalls nicht, solange beide Länder sich mit den USA koordinieren. Die Türkei ist das einzige Land in der Region, das in direkter Nachbarschaft seinen Einflussbereich ausweiten kann und von den Demokratiebewegungen als Vorbild akzeptiert wird – es ist ein wichtiger Partner, aber es braucht verlässliche Strukturen, auf die es zurückfallen kann.

Wenn der Kurdenkonflikt beendet wird und die Beziehungen zu Israel repariert werden, könnte die Türkei so zum wichtigsten Akteur in der Region aufsteigen.

 

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3 thoughts on “Was Öcalan so sexy macht”

Juhu! Jemand, der nicht bei facebook kommentiert! Oldschool!