(6) Warum ich die Piraten nicht leiden kann

Als ich das hier vor zweieinhalb Jahren angefangen habe, da gab es die Piraten noch gar nicht. Also nicht wirklich – so ernsthaft existieren sie ja erst seit der Landtagswahl in Berlin. Naja, und seitdem wäre es irgendwie zu billig gewesen, in den allgemeinen Kritik-Reflex der alten Parteien einzufallen. Aber seit einer Weile machen sie kaum noch Schlagzeilen und sie scheinen auch vorerst zu bleiben, also Zeit für etwas Bashing.

Tja, Politiker haben es nicht so mit Dingen, die sie nicht kennen. Darum ist es ja auch so wichtig, dass endlich mal mehr Frauen in der Politik erfolgreich sind, die nen Brüderle zurückpfeifen können, weil sie Belästigung aus eigener Erfahrung kennen. Und darum ist es auch wichtig, dass mehr Menschen mit anderer Hautfarbe, anderen Namen, anderer Religion oder anderer sexueller Orientierung als der weiße, heterosexuelle Deutsche mitreden können – wer die Lebensrealität kennt, der wird nicht so viel Mist labern.

Etwas, wovon die Politiker keine Ahnung haben, ist das Internet, weil, ganz ehrlich, mit diesem neumodischen Kram beschäftigt sich ja nur die Jugend, Generation 2.0 und so. Gut, manche können unfallfrei Twitter nutzen, andere weniger, und die Mehrheit kann nen Praktikanten dazu abstellen, sich um diesen lästigen Bereich der Öffentlichkeitsarbeit zu kümmern. Nur mit der Gesetzgebung funktioniert das nicht so ganz. Da müssen dann Nerds Zensursula erklären, wie das Internet funktioniert, oder auch dem Schäuble, oder neuerdings dem Steinbrück.

Warum erst hinterher erklären, das ihre Gesetze nicht funktionieren, muss sich eine Gruppe von jungen Nerds gedacht haben, und geboren ward die Piratenpartei. Die findet saugen geil und kennt sich sonst supi aus mit Technik. Darum kennt sie auch tolle Mittelchen, um Leute zum partizipieren zu bringen – weil, das macht man ja auch im Internet. Und irgendwie, man hat es schon fast vergessen, ging es auch bei der Demokratie darum – dass jeder mitreden kann.

Tjoa, nicht links, nicht rechts, sondern vorwärts – so hieß es mal. Immerhin kann man eine Partei, die vor allem drei Themen hat – Internet, Demokratie und Transparenz – in verschiedene Richtungen bewegen. Die Obrigkeitshörigkeit der großen Parteien passt da weniger dazu, aber wie wäre es mit ein bisschen Liberalismus? Wenn man im Netz frei ist, warum nicht überall, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft, usw usf? Hat ja auch in der Heimat des Internets, also in Amerika, wunderbar funktioniert.

Oder man schaut mehr auf das Basisdemokratische. Soll ja jeder zu Wort kommen, und die, die sich dann melden, mögen meist nicht von denen da oben, nun ja, von oben herab behandelt werden, und hätten dementsprechend nichts gegen ein bisschen mehr Herz in der Sozialpolitik. So nach dem Motto, was bringt mir Wählen wenn ich mir die Miete nicht leisten kann. Und immerhin wollen wir doch alle WLAN haben – warum also sowas nicht staatlich regeln?

Toll lief das dann: Es gab eine hübsche, links-alternative, basisdemokratische Partei. Wait, aber was ist mit euren Spinnern geworden? Den Aaron Koenigs? Die Prominenteren darunter sind mit der Zeit ausgeschieden. Nur, mal ehrlich – solange solche Leute es ab und zu mal nach oben schaffen, warum sollte ich euch dann wählen? Der Imageschaden ist nicht irreparabel, auf keinen Fall, aber er hält halt länger als das eine Jahr, in dem man jetzt nichts in der Richtung gehört hat.

Ja, klar, wenn man viele Neumitglieder hat, dann gibts auch Spinner drunter, und wenn man jeden reden lassen will, dann kriegt man sie halt zu hören. Aber dann wundert euch auch nicht, dass diese Spinner gehört werden und die Wahrnehmung prägen! Da muss man eben noch lauter dagegen schreien.

Wer ist denn eigentlich der stereotype Pirat? Der IT-Nerd mit den langen Haaren, der vorher unpolitisch war? Der Protestwähler, der von Grünen zu den Linken (oder auch gleich von der NPD, s.o.) und jetzt halt zu den Piraten wechselt? Vielleicht der Mac-Book Hipster, der Internet ganz tolle findet? Oder doch der alt-Kommunarde, der eigentlich gegen alles protestiert? Vielleicht auch ne Feministin, die auf Asyldemos Manifeste fürs BGE schreibt? Achne, ich glaub ich habs: Eigentlich ist der durchschnittliche Pirat (noch) ne Karteileiche, die keine Gebühren zahlen mag.

Ebenfalls aus dem Internet kommt eine wunderbare Debattenkultur, die vor allem nach dem Prinzip verläuft, wer am ausdauerndsten Schreit, der gewinnt vielleicht nicht, aber der hat die beste Chance, von Leuten gehört und unterstützt zu werden. Darum gibt es halt auch so gerne Shitstorms. Die ja was feines sein können – aber eben auch Leute, die ihre komplette Freizeit für die Partei opfern, zusätzlich belasten. Und, davon mal abgesehen, ziemlich sicher nicht produktiv sind (dann doch lieber bloggen).

Während die Piraten sich also in solchen Kleinigkeiten über Personalien und Kommunikation aufreiben, kommt die inhaltliche Arbeit eher langsam voran. Ja, ich habe mir mal angeschaut, was man zu Außenpolitik, Energiewende, Arbeits- und Sozialpolitik finden kann; so wirklich viel ist das nicht, das macht aber auch nichts, solange die Piraten an ihren Stärken arbeiten. Dann erwarte ich aber auch mehr Experten zu Datenschutz, Technologie, Transparenz, Bürgerbeteiligung. Ja, Liquid Feedback wird jetzt von manchen Kommunen und Ortsverbänden anderer Parteien eingesetzt, ich hätte gerne detaillierte Positionspapiere und vor allem Experten, die sich mit der Thematik auskennen. Und natürlich dauert das – aber wer mit den Großen spielen will darf sich nicht wundern, wenn er mit den selben Kategorien gemessen wird.

Achnee, ich vergaß ja: Piraten dürfen keine Experten haben. Jedenfalls nicht, wenn diese sich zu groß aufspielen. Nungut, es stimmt, manch Spitzenpolitiker nimmt sich deutlich zuviel raus – aber baut doch bitte trotzdem Spitzenpolitiker auf, denen ihr dann ein Korsett in Form von Positionspapieren anlegt. Die eure Profis natürlich erarbeitet haben, über die aber trotzdem abgestimmt wurden. Bisher überzeugt mich zwar einiges, aber es gibt noch deutlich Luft nach oben hin.

Und natürlich sollten die Piraten nicht den Fehler zu machen, Liquid Feedback für die Lösung aller Partizipationsprobleme zu halten. Wer den Quellcode erstellt, der hat halt irgendwo Macht – aber selbst wenn wir mal dem Ersteller vertrauen (was in einer Kleinpartei besser funktioniert als in landesweiten Wahlen) dann bleibt noch das Problem der Wahlbeteiligung. Solche Tools bilden nur die Meinung einer aktiven Minderheit ab, aber die Demokratie muss auch die stummen Bürger ansprechen.

Ich rede hier nicht besonders viel über Inhalte? Ja wir soll ich denn Doppelmoral kritisieren, wenn es noch keine Regierungsbeteiligung gab? Und den Idealen stehen doch die meisten von uns eher offen gegenüber. Jetzt fehlt nur noch, dass diese konkretisiert werden und in irgendeiner (Landes?)Regierung verwirklicht werden, dann melde ich mich nochmal. Wählen werde ich euch aber nicht, solange es eine potentiell wechselnde Mehrheit in der Partei, wenige bekannte Experten, zu wenige konkrete Positionen und zu viele Spinner gibt. Aber hey, in 5 Jahren wird diese Partei komplett anders sein, wenn alle diese Probleme behoben wurden und die ersten Enttäuschungen kamen. Ironischerweise werden Parteien nach einen partiellen Regierungsversagen berechenbarer, d.h. wählbarer.

 

Flattr this!

Juhu! Jemand, der nicht bei facebook kommentiert! Oldschool!