In der Zeit gab es mal wieder beef. Die Dozentin Christiane Florin und der Student Julian Kirchherr streiten sich da über diskussionsfaule Studenten und die Praxisnähe der Politikwissenschaften.
Blöderweise sagt keiner von den beiden, wo ich ihren Typus Student denn bitteschön antreffen kann.
Frau Florin durfte anfangen. Studenten seien faul, diskutieren nicht gerne und trinken viel zu viel. Über die Relevanz von Wasserflaschen kann man ja streiten, aber ganz ehrlich, wen interessiert es, wieviel jemand trinkt? Was sagt das über jemanden aus? Das Bild ist nicht nur schwach, es ist vollkommen unnötig.
Ihr lest nicht das Interview mit der Bundesfamilienministerin, sondern die Neon-Titelgeschichte »Wann möchtest du ein Kind?« Ihr geht nicht zur Gewerkschaftskundgebung für den Mindestlohn, aber vielleicht zum Flashmob »Stürmt die nächste McDonald’s-Filiale«. Ihr wolltet nicht wissen, ob Christian Wulff mit seinen Urlauben für lau das Amt des Bundespräsidenten beschädigt hat, ihr habt euch auf der Seite »Übernachte bei Bettina Schausten« getummelt. Die arabische Revolution hat euch elektrisiert, weil die Bilder dieses Mädchen mit dem blauen BH um die Welt gingen. Sie war so alt wie ihr, und der BH hätte von H&M sein können.
Und dann schwingt sie sich gleich auf zur Psychologin eines ganzen Studiengangs. Der gemeine Politikstudent ist nämlich emotional, Ich-bezogen und mediengeil. Was will er mit seriösen Informationen? Also bitte, sowas ist doch nur den Politikwissenschaftlern alter Schule vorbehalten! Aber weiter gehts; genau das sei jetzt die neue Art, mit Politik umzugehen. Die Dozenten müssten sich an genau das anpassen.
Jetzt mal blöd gefragt: an was denn?
Wer geht denn heutzutage demonstrieren? Etwa die 50+ Generation? Wer geht zu Occupy? Studenten, unabhängig vom Studienfach. Politikstudenten heutzutage haben es nicht nötig, sich mit “blauen BHs” (eine unnötige Marginalisierung) über die Arabellion informieren zu lassen – sie lesen lieber gleich die Twitter Posts dazu und lassen sich inspirieren. Und wenn ein Dozent keine Diskussion aus einem Seminar herausholen kann, dann kann das an vielem liegen – Dozent, Seminarthema und Studenten sind nur einige der Möglichkeiten. Anstatt zu psychologisieren wäre es vielleicht sinnvoll, die Thesen sinnvoller zu formulieren oder den eigenen Lehrplan zu entstauben – dass es auch anders geht, beweisen jeden Tag Tausende von motivierten Dozenten an deutschen Unis.
Die vollkommen falsche Antwort dann kam von Herrn Kirschherr. Schuld seien nunmal die Dozenten und Studiengänge selbst; viel zu theoriegeleitet, kaum Praxisbezug. “Wir” Studenten würden halt am liebsten Karriere in der Politik oder so machen wollen und dazu gibt das Studium keine Anleitung!
Als ich ein Praktikum beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen in Brüssel absolviert habe, sollte ich Förderanträge schreiben, um Mittel des Europäischen Sozialfonds anzuzapfen.
Genau – wenn man das vermittel kriegen würde, wäre es auch kein Studium, sondern schlicht eine Ausbildung zum Beamten. Und nach genau so etwas soll man bitteschön suchen, wenn man das lernen will.
Wie kann man sich anmaßen, für die Geisteswissenschaftler zu sprechen, die eben nicht wissen, was sie machen wollen? Soll man eine Politikerausbildung, eine Journalistenausbildung und eine Beamtenausbildung notdürftig kombinieren, ohne Qualität oder Sinn, und dabei all diejenigen ausschließen, die sich vom Studium vor allem eine persönliche Entwicklung versprechen?
Spätestens zum Masterstudium wählen wir dann eine andere Fachrichtung als Politikwissenschaft.
Ja ist denn das Masterstudium nicht genau dafür gedacht? Dass man sich auf das spezialisiert, was einem im Bachelor am besten gefallen hat?
Lieber Herr Kirschherr, liebe Frau Florin – ja wo gibt es ihn denn nun, diesen prototypischen Politikstudenten, Ichbezogen, emotional, gegen politisches abgestumpft auf der einen, praxis- und karriereorientiert auf der anderen Seite?
Oder gibt es vielleicht gute und schlechte Dozenten und gerade in den Geisteswissenschaften eine sehr heterogene Studierendenschaft, die sich nicht in einem kleinen Essay über den Kamm scheren lässt, dessen Erkenntnisgewinn übrigens bei der besagten Ich-Bezogenheit der Autoren stehen bleibt?
One thought on “Eure Politikstudenten würde ich gerne mal kennen lernen”