Monokausale Erklärungen sind Moppelkotze

Wir dürfen es alle Jahre wieder erleben – etwas passiert, die Medien werden sich ihrer Rolle als Welterklärer bewusst, und dem Bürger werden möglichst einfache, monokausale Erklärungen geliefert. Diese gehen dabei in unterschiedlichem Maße an der Realität vorbei. Das jüngste Beispiel für eine krasse Vereinfachung – die Krawalle in London.

Oh, wie wunderbar einfach es doch ist – da wird doch wohl gegen das Sparpaket der Regierung aufbegehrt! Wer nichts hat, rebelliert halt, vor allem wenn ihn Behörden schlecht behandeln. Aber nein, raunen einige Rechtskonservative, an der multikulturellen Gesellschaft und an der Kuschelpädagogik liegt das! Liegt doch auf der Hand. Wer keine Werte kennt (oder gar fremd in unserer Wertegemeinschaft ist, ein Kulturfremder!) der wird sich auch nicht an Werte halten, wie etwa den Schutz des Eigentums. Bürgerkrieg, ick hör dir trapsen!

Das blöde daran ist nur, dass man Kausalitäten erst untersuchen muss, bevor man etwas über sie sagen kann. Es wird Aufgabe von Soziologen und artverwandten Wissenschaftlern sein, die Ursachen dieser Proteste in den kommenden Jahren festzustellen – so wie das Ausmaß, das immer noch nicht klar ist, denn zum einen fehlen Informationen, zum anderen sind die Krawalle noch lange nicht vorbei.

Wenn dann etwa von Krawallen von Minderheiten die Rede ist, dann kann man dem nur antworten, dass das noch lange nicht bewiesen ist. Zwar kann man von besonders vielen dunkelhäutigen Randalieren sprechen, aber so einfach wie es sich auf Rechtspopulistischer Seite gemacht wird, ist es dann doch nicht. Sowohl auf Täter- wie auf Opferseite finden sich sowohl “Schwarze” wie “Weiße”. Und die Toten in Birmingham waren sogenannte Asiaten, ergo Einwanderer aus Südasien, die Täter dagegen angeblich “karibische Schwarze”. Wo ist da der Kampf “wir gegen sie”, der da oft genug beschworen wird? Wenn überhaupt, dann ist das ein Kampf jeder gegen jeden, und genau da verliert der Kulturbegriff als Erklärungsmodell jegliche Legitimation – gesellschaftlicher Zusammenhalt beschreibt das viel zutreffender.

Schwieriger wird es da bei der deutlich intuitiveren Annahme, man könne die Krawalle auf die Sparpolitik der Regierung zurückführen. Wie einige wenige Kommentatoren sehr richtig angemerkt haben, sind nicht nur die Proteste gegen die Pläne der Cameron Regierung vertraute Phänomene, sondern vor allem eine Sparpolitik auf der Rücken der Armen hat eine Jahre-, wenn nicht Jahrzehntelange Tradition. Möchte man also Verantwortliche suchen, dann macht man es sich – wie so oft – viel zu leicht, wenn man lediglich auf die amtierende Regierung verweist. Mindestens die Labour Regierung trägt eine Mitschuld; Lokalpolitiker, eine schwächelnde Wirtschaft, Medien und die Polizei ebenso. Also eigentlich alle, einschließlich der jetzt Randalierenden.

Armut und fehlende Zukunftschancen alleine können diese Proteste denn auch nicht erklären; damit kann man kaum die Teilnahme etwa einer arbeitenden Lehrerin erklären. Disziplinlosigkeit erklärt da sogar noch weniger. Und das alles bei einem kompletten Fehlen einer politischen Agenda; niemand hat sich da hervorgetan, irgendwelche Forderungen erhoben, irgendetwas gesagt was auf eine konzertierte, organisierte Aktion schließen ließe. Die Einschätzung der Randaliere als “kriminelle Banden” mag zwar kritisiert werden wegen dem Ausblenden aller anderen Faktoren, aber zumindest mit dem Plural scheint sie zuzutreffen – es sind lose organisierte Gruppen, die da für Probleme sorgen.

Berechtigt scheinen dagegen die Vorwürfe an die Polizei zu sein. Zu wenig Vertrauen habe die Bevölkerung hieß es da. Ja, das stimmt. Aber anderswo ist die Lage auch heute noch schlimmer, so scheint es auf den ersten Blick (inwiefern das der Fall ist wäre Sache der Sozialforschung). – ohne aber dass es zu solchen Protesten gekommen wäre. Auch erklärt der Vertrauensverlust der Polizei insbesondere in Tottenham nur schwer die Krawalle etwa in Birmingham. EIn weiterer Vorwurf richtet sich gegen die Einsatztaktik – zu lasch sei hier vorgegangen.

Das große Problem der Polizei ist es aber, festzustellen, was das richtige Maß ist. Die britische Polizei ist an sich bekannt für ihre deeskalierende Vorgehensweise, anders etwa als die französische – dieses Image wurde in den letzten Jahren zwar angekratzt, aber noch nie so sehr wie jetzt. Und entsprechend verhielt man sich – bloß nicht provozieren, warten, bis sich die Lage beruhigt. Was bei organisierten, überschaubaren Demonstrationen weise wirkt, ist bei einem so dezentralen, zerstörerischen Aufruhr genau falsch – und entsprechend häufen sich jetzt die Vorwürfe. Das andere Extrem scheint jetzt nahe – Wasserwerfer sollen her, die schwere Körperverletzungen herbeiführen können, ebenso wie Gummigeschosse, auf die in Deutschland von der Polizei bis jetzt freiwillig verzichtet wird – zu groß die Gefahr, zu gering der Nutzen. Macht nichts, kommt gut zur Beruhigung der Massen. Soll sogar die Armee zum Einsatz kommen? Daneben sollen auch gleich Blackberry, Twitter und Facebook eingespannt werden, immerhin organisierten sich die Gruppen hierrüber – Datenschutz ade, aber was solls, Aktionismus ist nun gefragt. Anstatt Ursachenforschung zu betreiben, sollen die Symptome notfalls mit Gewalt unterdrückt werden.

Und nicht nur drüben wird jetzt “aufgerüstet” – auch hierzulande hat die Debatte typischerweise begonnen, ob man ähnliche Ausschreitungen zu befürchten habe, und was man dagegen tun könne. Hierbei tut sich besonders Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) hervor.

“Politiker sind ja geübte Realitätsverweigerer, die immer wieder von Gewaltausbrüchen auch in Deutschland überrascht werden”, sagte er bei n-tv. “Von daher gibt es einen parteiübergreifenden Konsens, bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen nicht zur Kenntnis zu nehmen.”

Die Bedingungen, unter denen solche Gewaltorgien entstehen, seien in Deutschland “exakt die gleichen”, so Wendt: “Eine Gesellschaftspolitik, die geprägt ist von dem Motto ‘Privat vor Staat’, also Unternehmertum und Gewinnmaximierung statt sozialer Verantwortung, mangelnde soziale Integration, eine hohe Gewaltbereitschaft, die wir an jedem Wochenende bei Fußballspielen, bei Demonstrationen und anderswo erleben, und ein öffentlicher Dienst, der konsequent kaputtgespart wird – alles das hat es in England gegeben und alles das gibt es in Deutschland auch, gepaart mit einer Politik, die gesellschaftliche Entwicklungen einfach nicht zur Kenntnis nehmen will.”

Wendt hat sich bereits mehrmals mit solchen Aussagen hervorgetan; dazu vielleicht mehr zu einem anderen Zeitpunkt. Was er da skizziert ist aber grob vereinfachend. Ja, das alles hat es in Großbritannien ebenso gegeben wie in Deutschland – das gilt übrigens auch für das Klima. Solange die Ursachen der Proteste nicht bekannt sind, macht es keinen Sinn, Parallelen herzustellen – sie sind immer konstruiert, ebenso wie das leugnen von Parallelen. Darüber hinaus sind alle von ihm genannten Punkte in Großbritannien ganz anders ausgeprägt als hierzulande, ebenso wie das gesellschaftliche Klima, ja, die Gesellschaft überhaupt, sowie bekannte vorherige Probleme. Ähnliche Proteste gab es drüber regelmäßig – hierzulande bisher noch nicht.

Was er da betreibt, ist letztlich nichts weiter als Panikmache; es gibt keinen Grund dafür, von einer erhöhten Gefahr in Deutschland auszugehen, auch wenn man ähnliche Zustände letztlich nie ausschließen kann. Man sollte aber von jemand für den öffentlichen Diskurs relevantem Aussagen erwarten, die nicht in Richtung sich selbst erfüllender Prophezeiuungen gehen – und wir sollten und nicht unsere Bürgerrechte frühzeitig nehmen lassen, um Krawalle, für die es keine Anzeichen gibt, zu vermeiden.

 

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