Jaja, ich gelobe ja Besserung. Die Reihe über politische Strömungen kommt nicht vorran, der Fokus richtet sich immer mehr auf nationale Themen; aber ein Artikel zur Wahl des Bundespräsidenten muss denn doch sein.
Da erdreistete sich unser Herr Bundespräsident doch, in Afghanistan Wirtschaftsinteressen verteidigen zu wollen; wie jetzt, fragte man sich, doch nich die Afghanen, die Freiheit oder irgendwelche Werte? Also musste er zurücktreten.
Moment, ganz so schnell ging das doch nicht, noch weiter muss man zurückgreifen. Köhler als Präsident war eine ganz besondere Person; kein Berufspolitiker, jemand, mit wirtschaftlichem Fachwissen, aber leider nicht dem Gespür dafür, wie man sich in der Öffentlichkeit geben muss. Bürgernah, ja, aber eher durch seine Eigenwilligkeit und leichte Tollpatschigkeit – ein sympathischer Präsident eigentlich, der öfter mit dem einen oder anderen Fauxpas von sich Reden machte. Seine Rede an sich war auch nicht falsch; er sprach über Wirtschaftsinteressen, die einer von mehreren Gründen für internationale Einsätze seien. Dabei bezog er sich ausdrücklich auf Handelsrouten; dumm nur, dass keine solchen über Afghanistan führen, sondern über Somalia, auf das er sich bezogen haben will. Das brisante an dem ganzen war also eigentlich, dass er das zum falschen Zeitpunkt gesagt hat; es ging nämlich nicht um Somalia, sondern um Afghanistan, und damit sagte er eigentlich nur das, was Linke in Dtl schon immer hören wollten.
Als nächste folgte denn auch ein mediales Gewitter; jedenfalls war es ein solches, über das er sich beklagte und wegen dem er überraschend zurücktrat. Man lasse den Respekt vor seinem Amt vermissen; nur, Kritik darf immer und überall geübt werden, und der Ton war auch angemessen. Das Problem war und blieb Köhlers Bürgernähe und seine Weigerung, sich wie ein “Berufspolitiker” zu verhalten. Sein Rücktritt kam aber auch in einer Zeit, in der die Regierung arg schwankte. Das Desaster der Landtagswahlen, sinkende Umfragewerte und nun ein offener Posten – objektiv schrie dass nach einem “Konsenskandidaten”, d.h. einem Kandidaten, der auch für die SPD tragbar wäre, denn die würde früher oder später sowieso mitregieren, und sei es im Bundesrat.
Bei Merkel aber schrie das leider nach einem treuen Parteisoldaten, der Ruhe bringen würde und dessen Wahl schnell über die Bühne gebracht werden könnte – eine stabile Mehrheit in der Bundesversammlung war bereits sicher. Doch das ließen sich nun die SPD und die Grünen nicht gefallen – und konterten mit einem Geniestreich: Wenn man schon keinen linken Kandidaten durchboxen könnte, so könnte man dich zumindest die Kanzlerin blamieren. Merkel wählt einen Parteisoldaten? Also braucht die Opposotion einen Konsenskandidaten, der auch bei Schwarz-Gelb wählbar ist. So wirkt man gleich viel vernünftiger und staatstragender als die Regierung. Darüber hinaus sollte dieser den Bürgern näher sein als Wulff – Köhler wars ja schließlich auch. So sichert man sich halt Sympathien. Und vielleicht kann man mit diesem Kandidaten auch Stimmen aus dem Regierungslager gewinnen – das würde die Regierung schwach und zerstritten erscheinen lassen.
Nach ihrem ersten Fehler, nämlich der schnellen Nominierung Wulffs (wodurch der CDU nach Roland Koch ein weiterer möglicher Nachfolger für Merkel verloren geht, da droht schon das Schröder-Syndrom in einigen Jahren) ohne Rücksprache mit der Opposition, beging sie einen weiteren – sie selbst erklärte die Wahl zur Schicksalswahl für die Regierung, in der Hoffnung, einen blamablen 2. und 3. Wahlgang zu vermeiden. Man hätte die Wahl auch ganz freigeben können – Argumente a la “Konkurrenz ist demokratisch, darum haben wir einen eigenen Kandidaten” hätten gewirkt und ihr die Blamage erspart; so ging sie aber auf Konfrontation und setzte alles auf eine Karte.
In der Zwischenzeit hatte Rot-Grün noch einen politischen Gegner überrumpelt – die Linke nämlich. Die konnte Gauck auf gar keinen Fall wählen – nicht jemanden, der konservativ ist, für die Grünen gerade so tragbar und der die Linke als nicht regierungsfähig abkanzelt. Würde sie aber Gauck nicht wählen, wäre sie Wulffs Königsmacher – böse – oder aber wieder die SED-Nachfolgepartei, weil sie doch ach so viel Angst vor dem “Stasijäger” habe. Würde sie nun aber Gauck wählen, wäre sie einen Kompromiss eingegangen, hätte aus machpolitischen Gründen einen Kandidaten gewählt, der für sie untragbar ist – hätte also das gemacht, was sie der SPD vorwirft. Darüber hinaus hätte sie einen Kandidaten gewählt, an dessen Nominierung sie nicht beteiligt war – und damit Rot-Grüne Poltik faktisch toleriert, eine wunderbare Grundlage, um die Linke in Folgejahren zu ignorieren, in der Hoffnung, dass einige die Politik einer rot-grünen Minderheitsregierung schon mittragen.
Geniestreich. Wirklich.
Eine Win-win Situtation; man hat einen Kandidaten mit Chancen, man treibt einen Keil in die Regierung, eine echte Zerreißprobe, und die Linke ist in jedem Fall der Buhmann. Die Linke und Merkel würden verlieren.
Naja, und so ist es dann auch gekommen; 44 Abweichler im ersten Wahlgang gab es, und 2 weitere nicht-Linke, die die linke Kandidatin wählten. Auch im zweiten Wahlgang gab es 29 Abweichler; eine Linke stimme verirrte sich diesmal zu Gauck. Im dritten Wahlgang dann enthielten sich 121 Abgeordnete, bei 124 Abgeordneten der Linken; Wulff gewann endlich mit 625, also der knappen absoluten Mehrheit. Ihr Ziel hatten SPD und Grüner aber schon längst erreicht; Merkel wurde blamiert, die FDP und CSU wehren sich gegen Vorwürfe, sie wären die Abweichler, gleichzeitig schieben sie die Schuld auf die jeweils anderen. Gabriel, Künast und Trittin können sich die Hände reiben – und die Linke kann nur auf vage Versuche zurückblicken, einen gemeinsamen Linken Kandidaten in der 3. Runde aufzustellen; letztlich wird man ihr die “Schuld” geben, auch wenn sie Glück gehabt hat. Hätte Wulff nämlich die Absolute Mehrheit gehabt, hätte Gauck mit den Stimmen der Linken gewinnen können – so wird eher aus Gewohnheit auf die Linke eingedroschen werden, wenn auch eher vage.