Wo ich mich in letzter Zeit ja ein wenig auf die jungle world eingeschossen habe, wird es langsam mal Zeit, sie in “positiver” Art zu zitieren.
Die Truppen des afghanischen Warlords Rashid Dostum hatten Ende November 2001 etwa 4 000 Taliban gefangengenommen. Viele Gefangene verkaufte Dostum an seine US-Verbündeten, die anderen wurden von Kunduz in das Gefängnis Sheberghan nahe Mazar-e-Sharif transportiert. Doch längst nicht alle kamen dort an, etwa 2 000 werden in Massengräbern vermutet. In Sheberghan kam es zu einem Gefangenenaufstand, nach dessen Niederschlagung zahlreiche Tote gefunden wurden, deren Hände auf dem Rücken gefesselt waren. Überlebende berichteten, dass Dostum während des Transports Gefangene in den Containern, in denen sie transportiert wurden, ersticken oder erschießen ließ. Zwar wurde ein Massengrab gefunden, doch zu einer Untersuchung kam es nicht.
Nun hat US-Präsident Barack Obama angeordnet, »die Fakten für mich zusammenzustellen«, eine Untersuchung könnte folgen. Sollte es tatsächlich dazu kommen, hätte dies wohl schwerwiegende Folgen für die US-Politik und das Machtgefüge in Afghanistan. Es gibt zwar keine Indizien dafür, dass US-Truppen beteiligt waren, doch kann den Soldaten, die Dostums Truppen damals begleiteten, der Massenmord kaum entgangen sein. Bei der Niederschlagung des Aufstands in Sheberghan wurden auch US-Kampfflugzeuge eingesetzt. Dostum wurde kürzlich erneut zum Generalstabschef der afghanischen Armee ernannt. Wenn ihm ein Kriegsverbrechen nachgewiesen wird, müsste er dieses Amt wohl aufgeben, doch gehört der Warlord nicht zu den Menschen, die einen Machtverlust oder gar eine Anklage hinnehmen.
Das schöne an dem Ganzen: Natürlich ist das etwas, was noch keiner gewusst hat. Dostum, der Schlächter, und Dreck am Stecken? Man muss sich nur einmal mit Afghanen über den Herrn unterhalten haben, um jetzt angesichts solcher “Neuigkeiten” nur den Kopf schütteln zu können.
Nicht umsonst kritisieren afghanische Menschenrechtler seit Jahren den Fakt, dass Dostum verstärkt in eine neue Regierung eingebunden werden sollte; zwar wurde vermutet, dass die geschah, um seinen Rückhalt im Norden zu reduzieren und um ihn an die Zentralregierung zu binden, doch die Vorwürfe hörten nicht auf. Ich war vor etwas über einem Jahr bei einer Informationsveranstaltung, bei der ein Exilafghane sich etwa eine halbe Stunde lang allein über Dostums Vergewaltigungen aufgeregt hat. Vergessen wir nicht die Vorwürfe der Folter, Kritik, die von HRW und anderen geübt wurde sowie eine anhaltende Antipathie ihm gegenüber von so gut wie allen Fraktionen außer seiner eigenen (was Usbeken und ehemalige Kommunisten wären, und auch da ist er nicht unumstritten).
Man konnte ihm lediglich zugute halten, dass er eine beachtliche Zahl an Soldaten in das Bündnis mit einbrachte, Erfahrungen im Aufbau eines Landesteils sowie seine Distanz zu religiösen Strömungen, auch wenn er bewiesen hat, dass er nicht vor Zusammenarbeit mit religiösen Extremisten zurückschreckt.
Kurz: Einer der Leute, die man vielleicht braucht, die man aber auf keinen Fall brauchen will. Und eine der möglichen Alternativen zu Karzai (an alle Kritiker dessen gerichtet). Viel Spaß im übrigen noch bei der Forderung nach einer “Entnazifizierung” Afghanistans; was in einem komplett besetzten und von Verbündeten umgebenen Land nicht funktioniert hat, kann man in Afghanistan weitestgehend vergessen. Und wenn man Dostum möglichst große Brocken hinwirft, verzichtet er vielleicht auf Vergewaltigungen, Folter und Massaker. Ja, ich werd zynisch.