Wir erinnern uns:
Am 5. April 1967 wurden 11 Studenten festgenommen, weil sie einen Anschlag mit Pudding auf den amerikanischen Präsidenten verüben wollte. Zwar kamen sie kurz darauf frei, aber daran lässt sich recht gut dokumentieren, wie hart die Behörden zu dieser Zeit durchgriffen. Die Bild-Zeitung war sich in dieser Zeit nicht zu schade, ein härteres Vorgehen gegen die Studenten zu fordern.
Kurze Zeit später sollte der persische Schah Deutschland besuchen – und man wollte natürlich wieder keinen “Anschlag” riskieren. Gleichzeitig ließ man aber dem Schah selbst weitestgehend Handlungsfreiheit – so konnten gut 150 Mitglieder des Geheimdienstes SAVAK sich unter die Demonstranten mischen und teilweise mit Holzlatten auf diese einprügeln (“Jubelperser” respektive “Prügelperser”). Bei der Prügelei griffen die Polizeibeamten nicht ein, später jedoch wurde versprochen, solche Auseinandersetzungen zu verhindern. Gleichwohl wurden zahlreiche Demonstranten verletzt.
Daraufhin beschlossen einige, erneut zu demonstrieren – bei dieser Veranstaltung griffen nun auch die Polizisten auf gewaltsame Mittel der Interessenswahrnehmung zurück. Als der Räumungsbefehl gegeben wurde, waren die Demonstranten umkreist, und als verkündet wurde, dass ein Polizist erstochen worden sei, nahm die Gewalt durch die Polizisten zu. Zeitgleich fingen die Mitarbeiter des SAVAK ebenfalls wieder, auf die Demonstranten einzuprügeln, unter denen nun Panik ausbrach.
Nun wurden Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt, die SAVAK-Mitarbeiter wurden rausgelassen, die Demonstranten weiter verprügelt. Wer aus dem Kessel entkam, wurde gejagt und festgenommen; einer dieser Beamten war Karl-Heinz Kurras. In der Zwischenzeit wurde ein(!) angeblicher Steinewerfer festgenommen.
Benno Ohnesorg stand nun außerhalb des Kessels, und sah, wie die Polizei auf mehrere Studenten einprügelte. Er mischte sich ein und wurde im Verlauf der (bis heute nicht eindeutig geklärten) Handlung erschossen.
Was nun folgte, fasst die taz folgendermaßen zusammen:
Unmittelbar nach Kurras’ Schuss auf Benno Ohnesorg begannen die Verschleierungsmanöver. Die Polizeiführung streute die Nachricht aus, ein Polizist sei durch Messerstiche ermordet worden. Kurras, der Schütze, wurde sofort vom Tatort zurückgepfiffen. Er hatte Gelegenheit, das Magazin seiner Schusswaffe zu wechseln und seinen Anzug zur Reinigung zu bringen. In dem Krankenhaus, in das Ohnesorg erst nach einer Dreiviertelstunde eingeliefert wurde, entfernte man das Knochenteil seines Schädels mit der Einschussstelle. Das Beweisstück blieb unauffindbar.
Im Verfahren machte Kurras geltend, er sei mit dem Messer bedroht worden und habe in Notwehr gehandelt. Kein Zeuge konnte diese Version bestätigen. Kurras verwickelte sich in Widersprüche. Einmal will er zwei Schüsse abgegeben haben, darunter einen Warnschuss. Dann wiederum soll es nur ein Schuss gewesen sein. Trotz offensichtlicher Schutzbehauptungen sprach des Landgericht Kurras in erster Instanz frei. Das Gericht argumentierte, dass es sich “nicht mit Sicherheit ausschließen lässt, dass es sich beim Abdrücken der Pistole um ein ungesteuertes, nicht vom Willen beherrschtes Fehlverhalten des Angeklagten gehandelt hat”. Also keine Fahrlässigkeit, sondern Freispruch mangels Beweises.
Der Rechtsanwalt Otto Schily, der damals die Nebenklage vertrat, erstritt erfolgreich eine Revisionsverhandlung vor dem Bundesgerichtshof. Er wolle ein Tonband eines Journalisten vorlegen, auf dem nur ein Schuss zu hören war. Aber merkwürdigerweise erwies sich die Tonbandaufnahme als unbrauchbar.
Kurras wurde wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, 60.000DM wurde von der Gewerkschaft der Polizei gespendet zu seiner Verteidigung. Kurras wurde freigesprochen, er wurde kurzzeitig von Dienst suspendiert. So weit, so gut.
Nun wurde urplötzlich bekannt, dass Kurras ein Spitzel der DDR war. Und urplötzlich erlangt der Fall, nicht zuletzt durch die verehrte Springer-Presse, neue Aufmerksamkeit, Kurras ist “der Böse”, jeder regt sich drüber auf, man hätte es sich ja denken können. Ja, das hätte man sogar wirklich tun können – schließlich hat sogar Rudi Dutschke vermutet, dass diese Aktion von der DDR gewollt sei, da die linke Szene keineswegs DDR-freundlich war. Antiautoritäre linke Studenten, die möglicherweise noch für ein geeintes Deutschland plädieren, das war keineswegs der Verbündete der DDR, den es zu radikalisieren galt, wie heutzutage gerne vermutet wird, das war eher ein Gegner, jedenfalls laut Dutschke.
Darüber hinaus war doch die Person Kurras’ nie der Skandal – das scheint auch heute noch nicht in den Köpfen vieler angekommen zu sein. Der Skandal war noch nichtmal wirklich das Vorgehen der Polizei im Vorfeld – das übrigens auch heute noch, was oft ungerechtfertigt ist, das Bild der Polizei prägt – nein, der wahre Skandal war die Reaktion auf den Mord an Ohnesorg. Kurras wurde unterstützt, von offiziellen Stellen ebenso wie von der Öffentlichkeit, und er wurde freigesprochen. Frei nach dem Spruch “er ist zwar ein scheiß Mörder, aber er ist unser scheiß Mörder”. Jetzt ist er eben nicht mehr einer von “uns” – also ist er “böse”. Wenn so die Aussöhnung aussehen soll, dann gut Nacht.
Tja und Dutschke könnte jetzt auch jubeln – nicht nur, dass der Axel-Springer Verlag nun direkt an der Rudi Dutschke Straße sitzt, nein, er hatte auch recht was den Auftraggeber Kurras’ angeht. Und wer hat diese Nachricht fröhlich und feierlich verkündet? Niemand geringeres als ebendie Zeitung, die Dutschke als Staatsfeind Nr. 1 bezeichnete…
2 thoughts on “Und Dutschke siegt doch…”