Das Ende des Liberalismus

Europa hat vor einigen Tagen gewählt, und während die meisten auf den Aufstieg rechter Parteien schauen, wird gerne der Hauptverlierer der Wahlen vergessen: Der europäische Liberalismus, dessen Schwäche es den Rechten überhaupt möglich gemacht hat, so stark zu werden.

Egal ob UKIP, Schwedendemokraten, PVV, AfD oder FPÖ – die starken Rechtspopulisten sind mehrheitlich gegen Einwanderer, gegen die politische Klasse und für den freien Markt. Sie konkurrieren in der Wirtschaftspolitik mit klassischen liberalen Parteien, teilen aber deren Weltoffenheit nicht, sondern bedienen sich da bei den rechten Flügeln konservativer Parteien (die großen Ausnahmen bilden da Front National und Jobbik, die man mehr oder weniger als Neonazistisch bezeichnen kann).

Die liberalen Parteien, die seit dem 19. Jahrhundert Freiheit im Markt und Freiheit in der Gesellschaft predigen, scheinen machtlos. Ihre Bündnisse mit den großen Volksparteien (also Konservative oder Sozialisten/Sozialdemokraten) machen sie zum Teil des Establishments (ja, die FDP ist die Partei mit der längsten Regierungsbeteiligung in Deutschland). Vom Frust über die etablierten Politiker und Parteien können sie nicht profitieren, denn sie sind Teil des Systems.

Ihre Hauptwählerschaft sind die jungen, gebildeten Städter. Als Parteien des Bildungsbürgertums, des “gesunden Menschenverstandes” konnten sie sich lange framen. Jetzt aber gibt es neue, radikalere Parteien, die ihnen genau diese Schichten wegnehmen. Die Bildungsbürger mit Abstiegsängsten. Die Professoren, die ihre marktliberalen Theorien gerne mal verwirklicht sähen, ohne diese lästige Realpolitik (wo demonstrierende Arbeitslose schonmal Regierungen zum Nachdenken bringen können). Und die Wirtschaft, die spendet nun immer öfter an die marktradikaleren Parteien. Wenn Unternehmer wie Hans-Olaf Henkel eine Partei unterstützen, dann bringen sie weniger politische Kenntnis mit, sondern vor allem Spenden und Kontakte zu Spendern.

Mit ihrem wichtigsten Standbein, dem Wirtschaftsliberalismus, können die Liberalen also nichts holen, denn da sind die Rechtspopulisten extremer und erfolgreicher. Und der gesellschaftliche Liberalismus, den haben schon länger andere übernommen, meistens linke Parteien. In Deutschland konkurrieren Linke, Grüne, FDP und Piraten miteinander um Themen wie Datenschutz, Überwachung und Netzfreiheit. Also gleich vier Parteien zu einem Thema, das ohnehin kaum jemanden interessiert.

Jedenfalls hat man den Eindruck, dass das Thema nicht bewegt, wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut. Die Parteien, denen die NSA-Affäre, ACTA und ähnliches am Herzen lagen, sind ausnahmslos abgestraft worden. Das Thema war nicht relevant. Wirtschaftskrise und die grundsätzliche Europafrage haben dominiert, auch davon konnten die Rechtspopulisten profitieren. Die Wirtschaftskrise ist zu einer politischen Dauerkrise in vielen Ländern geworden, und wer Europa ablehnt, der kommt an den Rechtspopulisten nicht vorbei.

Der klassische, zentristische Liberalismus steht unter Beschuss. Themen wie Bürgerrechte muss er mit linken Parteien teilen, obwohl diese Themen sowieso nicht viele Stimmen bringen. Die wichtigeren, wirtschaftlichen Themen wiederum vertreten die Rechtspopulisten in einer radikaleren Form. Und die gemäßigte Version gibt es bereits – die findet man bei den konservativen Volksparteien. Den Liberalen Parteien fehlt damit ein klares Profil. Und so kam es, wie es kommen musste: ALDE, die liberale Fraktion in Europaparlament, hat fast ein Viertel ihrer Sitze verloren, prozentual ist das der größte Verlust, noch vor den Konservativen (die knapp ein Fünftel ihrer Sitze aufgeben mussten).

Wenn Parteien wie die Liberal Democrats oder die FDP sich nicht gleich auflösen wollen, müssen sie bald ein Rezept gegen die Rechtspopulisten finden. Sie müssen diese als wirtschaftlich inkompetent entlarven und die Diskurshoheit zurückgewinnen darüber, was “kluge” Wirtschaftspolitik ist – und eben nicht in katastrophalen Regierungen als der Sündenbock da stehen.

Sonst ist es leider gar nicht mal so unrealistisch, dass Parteien wie UKIP oder die AfD, mit ihrem Mix aus elitärem Personal und massentauglichen Parolen die klassischen liberalen Parteien (vom Bildungsbürgertum für das Bildungsbürgertum) ersetzen werden.

 

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2 thoughts on “Das Ende des Liberalismus”

  1. Ich sehe hier eher den Herbst des Marktliberalismus. Nach der Blüte in den nuller Jahren ist er nicht mehr so beliebt. Die Rechtspopulisten sind nicht wirklich marktliberal (Stichwort Protektionismus) und die Linksliberalen von den Grünen und den Piraten auch nicht. Somit hat die FDP letztendlich einen Fehler gemacht, letztere Position aufzugeben. Verstärkt wird dies noch zusätzlich durch ihre zu großen Versprechungen 2009.

     
    1. Naja, die genannten Parteien (AfD, UKIP, Schwedendemokraten, FPÖ) zeichnen sich ja gerade durch eine große Marktgläubigkeit und Gegnerschaft zum Sozialstaat aus. Sie sind da gegen den Markt, wo es um die EU/gemeinsame Wirtschaftsräume geht (und sind genau da auch angreifbar). Für Schutzzölle werden sie sich aber eher weniger engagieren.
      Wirklich protektionistisch sind imo nur Parteien wie der FN und eben Jobbik/Morgenröte

       

Juhu! Jemand, der nicht bei facebook kommentiert! Oldschool!