Wie Yücel Antirassisten falsch versteht

Wer gerne Zeitung liest, dem ist Deniz Yücel ein Begriff. Ein bisschen was wie der Haustroll der taz, mit Niwoh. Alles immer schön kurz und knackig formuliert, zugespitzt, provokativ, so, wie die Altrevolutionäre das halt gerne mögen. Leider sorgt er regelmäßig auch für Kontroversen im eigenen Lager. Ich war nicht dabei, die genauen Vorgänge kann ich also nicht beurteilen – ich kann mich aber sehr wohl über einige Aussagen in seinem Kommentar aufregen.

Klar, Rassismus in Zitaten ist kein eigener Rassismus, und klar, Wörter können satirisch und überspitzt angeeignet werden. Ebenfalls volle Zustimmung: Die Diskussion ist immer sinnvoller als der einfache Protest.

Trotzdem wundert mich das mangelnde Verständnis für Menschen, die gerne die Definitionshoheit darüber bewahren möchten, was sie verletzt. Was beleidigend ist, entscheidet immer noch die betroffene Person, und nicht derjenige, der gerade das Wort ergreift. Darüber kann man diskutieren, aber wie das nunmal so ist bei Beleidigungen, gehört dazu Taktgefühl. Und das N-Wörtchen ist nunmal genau das, eine rassistische Beleidigung, egal ob man nun “Nigger” oder “Neger” sagt – es hat beides eine sehr ähnliche, wenn nicht die gleiche, Historie. Ehrlich, kann man nachschlagen, da hilft es auch nicht, wenn man etwas anderes behauptet (im übrigen eine beliebte Taktik unter Rechtsextremen, das mit der Substitution).

Wenn also auf Seiten eine Triggerwarnung steht, dann soll man das doch bitte als Denkanstoß begreifen. Weil viele Menschen (unter anderem Yücel) eben nicht verstehen, wie es wirkt – es also so ähnliche zu behandeln wie, sagen wir mal, extreme Pornographie oder Gewaltbilder hat eine ganz bestimme Message. Die muss man nicht übernehmen, aber man sollte sie zumindest verstehen, bevor man sich drüber lustig macht.

Komplett ausgeschlagen ist mein Bullshit Detektor aber dabei:

Eingebettet ist dieses Ich in eine Ideologie, die sich critical whiteness, „Kritische Weißseinsforschung“, nennt und deren Programm man mit dem Titel einer Sendung im Zonenfernsehen zusammenfassen kann: Täter, Opfer, Polizei.

Demnach ist alle Geschichte Kolonialgeschichte, egal ob in den USA, Großbritannien oder Deutschland. Und darin sind Täter und Opfer, Gut und Böse sauber verteilt. Dass das Leben in den betreffenden Ländern vor der Kolonialisierung, nun ja, auch kein Zuckerschlecken war, spielt keine Rolle; ebenso wenig der Umstand, dass durch den Kolonialismus die Menschen in der Dritten Welt auch ein philosophisch-politisches Instrumentarium in die Hände bekamen, das sie gegen die Kolonialherren wenden konnten.

Weder interessiert, dass in einigen arabischen Ländern die Sklaverei bis ins 20. Jahrhundert erlaubt war, noch schert man sich um postkoloniale Konflikte, bei denen kein westlicher Staat mitmischte.

Soso, critical whiteness ist also kein Denkansatz für postmoderne Diskurstheorie, sondern eine Ideologie? Na, dann willkommen in einer Welt voller Ideologien, wenn wir den Begriff schon so weit dehnen, passt ja fast alles unter den Begriff! Wie wäre es mit der “unbequeme Meinungsideologie”, aka “politisch inkorrekt”, der der Autor anzuhängen scheint?

Critical Whiteness ist, vereinfachend gesagt, nichts anderes als die Erkenntnis, das unsere komplette Forschung und unsere Diskurse darauf basieren, dass Weiße als “normal” gelten. PoC fallen auf, sie sind das “Andere”, sie werden studiert, mit dem N-Wort belegt, sie sind letztlich immer und überall in der Defensive. Warum also nichtmal das ganze umdrehen und die Mehrheitsgesellschaft mit demselben “analytischen Blick” betrachten? Warum nicht mal in die Offensive gehen und Weiße satirisch (!) beschimpfen (finde ich persönlich besonders befreiend)?

Die Verharmlosung der Kolonisierung ist dann ebenso lächerlich wie die Behauptung, Anhänger einer Ideologie, die nicht existiert, würden Kolonialismus anderer Länder ignorieren. Nee, komplett falsch – Critical Whiteness kann was mit dem Kolonialismus zu tun haben, und es kann sich auch auf westlichen Kolonialismus konzentrieren (weil es eben Critical WHITEness heißt, duh) – das heißt aber nicht, dass es andere Formen von Kolonialismus leugnet. Ganz im Gegenteil, dass die meisten Reiche koloniale Elemente hatten, ist weitestgehend anerkannt, aber die westlichen Weltreiche wirken nunmal heute am stärksten nach, gerade was die Diskursbildung angeht. Und ja, dabei geht es nicht um militärische Konflikte, sondern um Kultur, Diskurse und die Konstruktion von Normalität.

Da kommt übrigens auch die Ablehnung her, Weiße bei solchen Themen mitreden zu lassen. Weil es eben die Kolonialherren waren, die lange Zeit die Definitionshoheit über die “Barbaren” hatten, und weil es immer noch in vieler Hinsicht die Mehrheitsgesellschaft ist (egal, in welcher Gesellschaft wir uns befinden, aber hierzulande sind das nunmal Weiße), die die Defintionshoheit über die Minderheitsgesellschaft haben. Fremddefinitionen werden oft zu Eigendefinitionen, und das ist eben diskursiver Postkolonialismus.

Neee also über weite Strecken klingt das für mich einfach nur nach recht populären, vermeintlich “unbequemen Meinungen” und einem zugrunde liegenden Antiintellektualismus.

Besser kann das auch der Herr Yücel.

Edit: Hier noch ein paar andere Meinungen zu dem Thema.

 

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3 thoughts on “Wie Yücel Antirassisten falsch versteht”

  1. Was beleidigend ist, entscheiden nicht die betroffenen Personen, sondern der Gesetzgeber und die Gerichte. Selbstverständlich darf sich jeder beleidigt fühlen, aber ob es auch allgemein als eine Beleidigung anerkannt wird, liegt nicht in der Entscheidungsgewalt der Person. Und wenn es gar nicht um eine direkte Ansprache einer individuellen Person geht und noch nicht einmal, um die Anrufung einer konkreten Gruppe, verwundert es nicht, dass nicht alle darin eine Beleidigung sehen wollen.
    Jemanden abfällig als N. zu bezeichnen, wird zu Recht von Gerichten als Beleidigung eingestuft. Das ist aber etwas gänzlich anderes als sich schon von der reinen Existenz dieses Wortes beleidigt zu fühlen.

     
    1. Naja, du unterscheidest ja selber zwischen der rechtlichen und der persönlichen Ebene. Wir reden jetzt aber von Leuten, die eine Veranstaltung verlassen, nicht von einer Klage – also geht es wohl um die persönliche. Und auf der entscheidet bitte immer noch die Person, was beleidigt und was nicht.
      Wenn mir ne Veranstaltung zu vulgär ist kann ich sie ja auch verlassen.

       
  2. Als weiß positionierter Priviligierter sehe ich meine Aufgabe nicht darin, einem negativ von Rassismus Betroffenen vorzuschreiben, wie er sich zu verhalten hat. Deniz Yücel macht Veranstatlungen, auf denen er Leserbriefe an ihn vorliest. Darin heißt es zum Beispiel (Triggerwarnung: Rassistische Sprache, die Re_Traumatisierungen auslösen kann): “Ein Ausländer bleibt immer ein Ausländer. Siehe Türken.” Oder: “Gehen Sie doch zurück nach Fickdeppenarschland, wo Sie herkommen!” Oder: “Ich bin dafür, Ausländer auch mit deutscher Staatsbürgerschaft abzuschieben.” Oder: “Sie erzeugen doch nur Vorurteile bei Leuten, die vorher keine hatten.” Oder: “Den Sprung vom Eselskarren zur E-Klasse scheinen Sie nicht verkraftet zu haben.” Politically Incorrect bezeichnet ihn ironisch als “grün-migrantische, multikulturelle, islamische “Bereicherung””.

    Als negativ von Rassismus Betroffener hat Deniz Yücel das Recht, selbst zu entscheiden, wie er das verarbeitet und wie er damit umgeht. Ich sehe meine Aufgabe darin, ihm zuzuhören, ihm Raum zu geben und meine Privilegien zu reflektieren.

     

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