Warum Intellektuellenmilieus Gift sind für Gedanken

Aus gegebenem Anlass möchte ich einmal den Versuch unternehmen, die Rolle der Sprache und vor allem des Sprachgebrauchs unter Intellektuellen, d.h. sich mit Geistigem Auseinandersetzenden und vor allem über diese Auseinandersetzung Mitteilenden Menschen, zu diskutieren.

Das Grundproblem, das sich stellt, ist eines, mit dem jeder konfrontiert war, der schon einmal vor der Aufgabe stand, einen längeren oder komplexeren Gedanken mitzuteilen, sei es schriftlich oder mündlich. Das Problem besteht nämlich darin, wie komplex die verwendete Sprache sein darf, um weder den Gedanken zu vereinfachen, noch auf jegliche Verständlichkeit der Sprache zu verzichten.

Zunächst sollte als ebenso nützliche wie oft zu allgemeine Regel gelten: Das Niveau der verwendeten Sprache sollte sich am behandelten Thema orientieren. Hier gibt es offensichtlich zwei Probleme – zum einen ist es Ansichtssache, wie komplex ein Problem ist und wie hochgestochen die Sprache sein darf, um es zu beschreiben, zum anderen wird Sprachniveau sehr unterschiedlich wahrgenommen. Beides lässt sich gut illustrieren; so wird ein Experte für Wirtschaft etwa eine andere Vorstellung von Allgemeinbildung, Grundwissen und Komplexität spezifischer Themen in seinem Gebiet haben als ein Laie. Ebenso wird ein Professor, der jahrzehntelange Hochschulbildung hinter sich hat, eine andere Vorstellung von akzeptabler, verständlicher Sprache haben als ein ungelernter Arbeiter.

Um also eine Verwendung der Sprache zu illustrieren, die möglichst zielführend ist, wollen wir zunächst vier Formen des Sprachgebrauchs skizzieren.

Die Erste, und intuitivste, Art ist die kommunikative. Kommunikativ, das heißt, auf das Verständnis des Gegenüber ausgerichtet. Die Sprache soll hier vor allem etwas verständlich machen; dabei bezieht sie sich idealerweise auf einen Grundwortschatz, der jedem Muttersprachler bekannt sein sollte und vermeidet kunstvolle grammatische Verrenkungen. Auch wird die Sprache vor allem am Publikum orientiert; relevant ist also nicht das eigene Verständnis von normaler, d.h. verständlicher, Sprache, sondern das, was der/die Gesprächspartner/Leser darunter verstehen.

Die Zweite Form ist die pragmatische. Pragmatisch heißt, auf die Funktionalität der Sprache ausgerichtet. Jede Verkomplexierung ist hierbei auf eine Erleichterung des Sprachgebrauchs zurückzuführen. Wenn ich also ein weniger bekanntes Wort verwende, dann nur, weil es kein anderes Wort mit der benötigten (die von der maximalen zu unterscheiden ist) Prazision gibt oder weil ich eine längere Erklärung umgehe. Verwende ich etwa in diesem Essay das Wort “Funktionalität”, so nehme ich in Kauf, dass einige den Sinn nicht verstehen, ein einfacheres, zugänglicheres Wort mit ähnlichen Eigenschaften aber steht nicht zur Verfügung. Um verständlichere Worte verwenden zu können müsste man einen Exkurs einbinden, der denselben Informationsgehalt hat wie das Wort “Funktionalität”, etwa “auf die Aufgabe, die etwas zu erfüllen hat, bezogen”. Ein solcher Zusatz aber würde das Formulieren der Aussage erschweren und im Zweifel sogar das Verständnis mehr behindern, als ein weniger eingängiges Wort wie “Funktionalität” es könnte.

Die Dritte Art ist die Identifizierende. Der Sinn eines solchen Sprachgebrauchs ist es, sich als einer bestimmten Gruppe, einem bestimmten Milieu zugehörig zu zeigen oder sich gegen ein solches abzugrenzen. Subkulturelle Worte, seien es Schwulen-, Jugend- oder Musikersprache, sind gute und zahllose Beispiele für diese Form des Sprachgebrauchs. Dialekte, Subkulturen und Milieus haben jeweils eigene, exklusive Worte, mit denen man sich als diesen zugehörig ausweist oder gegen andere abgrenzt. Auch bestimmte Idiome, Phrasen oder gar grammatische Strukturen können vorkommen.

Die Vierte Form des Sprachgebrauchs schließlich ist die künstlerische, d.h. die rein auf das ästhetische und den Ästhetikgewinn ausgerichtete Sprache. Diese könnte man auch unter die anderen subsummieren; so argumentieren einige, dass Kunst stets Milieuspezifisch ist und ohne einen solchen Kontext keine Bedeutung hat. Sie enthielte also stets Kodizes, die einen als der Künstlerszene zugehörig ausweisen. Dem sei entgegnet, dass dies nur dort gilt, wo künstlerische Sprache auf Anerkennung durch andere angewiesen ist, also da, wo aus künstlerischer Sprache auch anerkannte Kunst wird. Die künstlerische Sprache kann aber auch unabhängig von der Logik der Kunst existieren; wenn ich etwa eine bestimmte Phrase nicht verwende, weil ich sie für funktionaler, verständlicher oder angemessener halte, sondern weil ich sie für subjektiv schöner halte. So hat jeder Mensch einen bestimmten Wortschatz, den er besonders häufig verwendet, ohne dass dieses durch die anderen Formen erklärbar wäre. Der einzige Aspekt, mit dem man dies erklären kann, sei also künstlerisch, d.h. ästhetisch, subjektiv, genannt.

Jeder formulierte Text, gesprochen oder mündlich, entsteht aus diesen Formen. Verwende ich einen bestimmten Satz, mit genau diesen Worte, genau so, und nicht anders, dann spielen diese vier Formen in verschiedenen Ausprägungen mit und sind der Grund dafür, dass ich den Satz nicht anders formuliere.

Was aber ist die Aufgabe eines modernen Intellektuellen?

Dies wiederrum hängt davon ab, wie man einen Intellektuellen versteht. Eine recht verbreitete Vorstellung ist die einer Intellektuellen-Schicht, die sich untereinander kennt, deren Gedanken sich de facto inzestiös entwickeln, und die eigene Kodizes, einen eigenen Habitus entwickeln. Intellektueller zu sein wird leichter akzeptiert, wenn man diese Eigenschaften adaptiert; noch wichtiger ist allerdings die Anerkennung durch diese Schicht.

Dies begünstigt die dritte Form des Sprachgebrauchs; dadurch, dass das Publikum dem Sprecher ähnelt, wird der Blick verloren für den Begriff der Verständlichkeit. Die Sprache wird von Gleichgesinnten verstanden, teilweise wurde sie erst mit diesen entwickelt. Begriffe, die anderswo andere Bedeutungen hätten, sind ganz eindeutig in einer solchen Schicht. Dadurch geht aber die Intersubjektivität zu einem gewissen Grade verloren; die Gedanken sind von außerhalb nur schwer wenn überhaupt nachvollziehbar, in der Regel erst, nachdem man sich mit dem ganzen Milieu beschäftigt hat. Die Sprache, und damit auch die Gedanken, entwickeln ihre Bedeutung zum Teil in Abgrenzung zu anderen.

Dem gegenüber steht ein anderes Ideal. Dieses richtet ihr Augenmerk vor allem auf die kommunikative Art. Jede Form der Gedankenentwicklung ist darauf ausgerichtet, sich anderen, möglichst Milieufremden, mitzuteilen. Der entgegengesetzte Impuls, den ein solcher Intellektueller mit einbinden muss, manifestiert sich in der pragmatischen Art; um nicht abzuschweifen und seine eigenen Gedanken zu vereinfachen oder gar die Komplexität zu erhöhen, muss ein Mindestmaß an nicht allgemein vorraussetzbaren, funktionalen Begriffen verwendet werden.

Ein postmoderner Intellektueller würde nun aber versuchen, genau diese Anzahl minimal zu halten, und sie außerdem zu erklären, wenn sie das erste Mal vorkommen. Ein solcher Sprachstil setzt aber den Blick dafür vorraus, was allgemein verständliche Sprache ist und was nicht. Gerade dieser Blick wird durch die de facto Existenz sogenannter Intellektuellenmilieus vernebelt; um sich davon zu lösen, muss sich von diesen Milieus gelöst werden, zumindest temporär. Wer nicht möglichst verschiedene Denkweisen, verschiedene Milieus, und, vor allem, verschiedene Sprechweisen kennen lernt, kann von sich nicht behaupten, für sich nach einer intersubjektiven Sprache zu suchen.

Es ist also nicht zuviel gesagt, zu behaupten, dass der Horizont eines primär intellektuell sozialisierten Menschen beschränkt ist; seine Sprache ist es, also auch das von ihm denkbare. Das Bewusstsein, sich intellektuell von anderen abzuheben, ist weniger abhängig von der geistigen Leistung des Individuums; es begründet sich vor allem auf die Anerkennung und das Verständnis in seinem als intellektuell anerkannten Milieu. Befreien kann man sich davon nie; man kann aber danach streben, sich davon so wenig abhängig zu machen wie möglich, indem man die identifizierende Sprache so gut wie möglich verbannt. Dann, und nur dann, strebt man nach jener Verständlichkeit, aber auch nach jenem Weltverständnis, das einen wahren Intellektuellen ausmacht.

 

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