Die vergessene Katastrophe

Und, wovon haben Sie so die letzten Tage gehört? Norwegen? Libyen? Vielleicht sogar Syrien? Oder doch USA? Unterdessen wird in Afrika gehungert. Eine Hungersnot wie es sie lange nicht gab, Flüchtlinge ohne Hoffnung, fast 4 Millionen Somalier von Hungertod bedroht – so sehen die Dimensionen einer Katastrophe aus, die kaum wahrgenommen wird. Und die vor allem kaum Spenderherzen trifft.

Dabei könnte es doch so einfach sein – die Nachbarländer engagieren sich, regionale Akteure intervenieren, der Westen ist weitestgehend außen vor gelassen. Und genau da liegt das Problem: Keines der in Somalia engagierten Länder hat die Kapazitäten, Hilfsleistungen alleine zu gewähren, vor allem nicht, wenn die eigenen Länder ebenfalls betroffen sind. Wer soll das bezahlen? Idealerweise der Westen; denn durch dessen Handelspolitik wurde Agrarwirtschaft in Afrika sowieso lange Zeit unrentabel gemacht.

Es gibt dafür verschiedenste Gründe – einmal sind da einfacherer Zugang zu besserer Technologie und dadurch höhrere Erträge außerhalb Afrikas, außerdem begünstigt durch stabile Staaten und Sicherheit. Dazu kommen dann noch Agrarsubventionen fast aller Industrieländer, um die eigenen Produkte sowohl auf den heimischen als auch den internationalen Märkten billig zu halten – und schon ziehen afrikanische Bauern in die Städte, wo sie noch weniger Überlebenschancen haben. Und in Hungersnöten dann trifft die Unterproduktion die Länder erst wirklich.

Dies alles gilt für Staaten mit einer einigermaßen intakten Infrastruktur, Stabilität und einer gewissen Wirtschaftskraft. Und dann gibt es da noch Somalia, das Paradebeispiel neben Afghanistan für einen “failed state”, einen Staat also, der keiner ist, da er grundlegende Staatsfunktionen nicht erfüllen kann. Ein zerfallener Staat. Und ein Staat, der weder Infrastruktur, noch Landwirtschaft (oder überhaupt Wirtschaft) noch Stabilität garantieren kann. Ein Staat, der in diesem Falle seine Bevölkerung tödlich gefährdet.

Seit Jahrzehnten herrscht nun Krieg in Somalia; genau das verkompliziert die Lage zusätzlich. Die Landwirtschaft hat sowieso kaum für die Bevölkerung gereicht, die Fischer haben bekanntermaßen mit Überfischung zu kämpfen und steigen nicht selten auf profitablere Einkommensquellen, wie etwa die Piraterie, um, und so etwas wie Kornlager gibt es wohl nur in militärischen Camps einzelner Fraktionen. Kein Platz also für die einfache Zivilbevölkerung, die hungern muss – selbst die Piraten, die von ihrem Geld nun kaum etwas kaufen können, was essbar wäre.

Und die internationale Hilfe? Die hat neben der Finanzierung noch mit anderen Problemen zu kämpfen; mit dem Schutz ihrer eigenen Mitarbeiter und ihrer Lieferungen etwa. Eine Luftbrücke sollte nun her; in Mogadischu, der Hauptstadt, führte diese gleich zu Kämpfen. Die Afrikanische Union hatte Mühe, der Lage Herr zu werden. Andere Wege sind kaum zugänglich; zu zersplittert die Clans, zu unklar die Lage, zu unsicher, wer den Organisationen wie gegenüber stehen wird.

Um dem zu begegnen, forderte nun etwa ein Kommentator, militärisch zu intervenieren. Ja – dies ließe sich völkerrechtlich wohl ebenso legitimieren wie moralisch. Auch entspräche es den Sicherheitsinteressen der Nato, gegen die Islamisten in Somalia vorzugehen. Was aber hier nicht bedacht wird – diese Forderung hilft wirklich niemandem; eine solche Operation würde, wie Afghanistan gezeigt hat, im Idealfall zwar nicht lange dauern, bis die Lage aber so sicher ist, dass man helfen könnte, wäre die Hungersnot wieder vorbei. Und zwar ohne dass Hilfsorganisationen in dieser Zeit leichter Zugang gehabt hätten; eher im Gegenteil.

Unhd gesetzt den Fall, dies ist ein bloßes Hirnsgespinst; wie realistisch wäre eine solche Intervention? Der Westen ist momentan in Afghanistan, im Irak und nun sogar in Libyen gebunden. Wer also hat noch Kapazitäten übrigen? Vor allem müssten es genug Kapazitäten sein, um den Krieg nicht zu gewinnen, sondern die Region dauerhaft zu befrieden; eine solche Taktik ist vor allem Kostspielig, in jeder Hinsicht. Apropos Geld – die USA sind übrigens so gut wie pleite und werden es sich doppelt und dreifach überlegen, irgendwo nochmehr Geld auszugeben, aus humanitären oder wie auch immer sonst gearteten Gründen. Wer also, außer vielleicht Russland, hätte noch die Kapazitäten für ein langwieriges Engagement?

Die Antwort für Somalia irgendwie normativ zu formulieren bringt nichts, solange die Forderung unrealistisch ist. Nicht wie es sein sollte, sondern wie es sein könnte ist hier interessant. Und so betrachtet liegt die Zukunft Somalias in Afrikas Hand – und vor allem in Somalias. Der Westen kann sich lediglich als Beobachter, als Kommentator und als Mentor betätigen. Und vor allem als Geldgeber. Für viele, viele Essenspakete.

 

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