Wenn Iraner_innen protestieren…

…dann kann es eigentlich ja nur um Religion gehen. Jedenfalls ist das der Eindruck, den man bekommen kann, wenn man den Nachrichten, die es aus dem Iran in unsere Presse schaffen, mit nur halber Aufmerksamkeit gelauscht hat. Grüne Armbänder, grüne Schilder, grüne Kleidung – die Demonstrationen wurden von der Farbe grün beherrscht, so, wie der Ruf „Gott ist groß“ respektive „Gott ist größer“ scheinbar omnipräsent war.

Haben wir es hier wirklich mit dem revolutionären Kampf zu tun, als der die aktuellen Unruhen gerne hierzulande dargestellt werden, und der die Wut der Iraner_innen wegen der jahrzehntelangen Unterdrückung sowie ihren Wunsch nach einer Demokratie nach westlichem Vorbild ausdrückt?

Einiges spricht dafür; Rufe wie „Tod dem Diktator“ respektive „Tod der Diktatur“ (die Übersetzung aus dem persischen gestaltet sich eher schwierig) und Massenaufmärsche aller oppositionellen Gruppen sprechen dafür, ebenso die Radikalität der Proteste. Da gab es Straßenschlachten, da wurden alle möglichen Dinge angezündet, da kämpften Frauen wie Männer, Alte wie Junge gegen die Einheiten des Regimes, seien es nun Bassij-Milizen oder „zivile“ Anhänger Ahmadinedschads.

Gleichzeitig allerdings ist Moussavi – und um den geht es hauptsächlich während dieser Demonstrationen – kein Feind des Systems, im Gegenteil, er ist ein Kind der Revolution, das sich anfangs deutlich zurückgehalten hat in seiner Unterstützung für die Demonstrationen. Moussavi ist nicht einmal ein radikaler Reformer – immerhin war er einst als Hardliner bekannt, und mittlerweile gilt er lediglich als dem reformorientierten Lager etwas nahe stehender als den konservativen Kräften um Ahmadinedschad (mit denen um Laridschani hat er im übrigen erstaunliche Gemeinsamkeiten). Warum also schafft es jemand, der offensichtlich kein Interesse daran hat, das System zu stürzen, eine der größten Unruhen, die das Land seit der islamischen Revolution erlebt hat, zu organisieren?

Die Antwort dürfte ebenso einfach wie unbefriedigend sein – er organisiert nichts, er wird von den Ereignissen mindestens so sehr mitgerissen wie die einfachen Bürger_innen des Irans. Die Organisation ist im übrigen unklar, Journalisten dürfen weitestgehend nicht berichten, Internet ist kaum verfügbar, und Nachrichten gelangen nur spärlich nach außen, während gleichzeitig nicht nur führende Köpfe der Opposition verhaftet werden, sondern gleich jeder, der in irgendeiner Form mitverantwortlich sein könnte – all dies trägt nicht gerade dazu bei, dass es einfacher wird, Aussagen über die Organisation der Unruhen formulieren zu können. Auf Demos scheint es so etwas wie Ordner_innen zu geben – was allerdings auf den ersten Blick wie ein Beweis für die Existenz eines zentralen Komitees aussieht, kann auch auf die Eigeninitiative der Bürger_innen zurückzuführen sein. Die Organisation verlief im übrigen anfangs massiv über das Internet, vor allem Twitter und Facebook haben Schlagzeilen gemacht (aber wohl mehr, weil dort auf englisch journalistenfreundlich geschrieben wurde, die eigentlichen Absprachen verliefen doch etwas diskreter auf persisch), ebenso war das Handynetz von entscheidender Bedeutung, allerdings sind beide Möglichkeiten kaum noch verfügbar. Mundpropaganda ist es nun, worauf man sich hauptsächlich verlässt.

Ein Beispiel für die Kommunikation über Twitter und Co. ist eine Nachricht, die davor warnte, dass Helikopter eine brennende Flüssigkeit auf Demonstrant_innen kippten. Jemand anderes schrieb über die Wirkungen von etwas – ob nun besagte Flüssigkeit gemeint war oder eine Form von Pfefferspray, ist unklar, aber kurz danach wurden Tipps ausgetauscht, wie man die Nebenwirkungen bekämpfen könne. Sämtliche Nachrichten bei Twitter wurden automatisch bei Facebook hochgeladen – eine Seite namens „teheran bureau“ kümmert sich seit längerem um die technische Verknüpfung eines eigenen Blogs, einer homepage sowie der Twitter- und Facebookseite. Diese Meldungen sind natürlich nicht überprüfbar, aber man scheint zu wissen, wem man trauen kann, jedenfalls gehen die meisten Iraner_innen recht selektiv vor und kümmern sich nur um Nachrichten von „vertrauenswürdigen“ Leuten. „Teheran Bureau“ soll da wohl sowas wie objektive Berichte für Journalisten gebündelt vorlegen – wobei natürlich auch hier die Objektivität bezweifelt werden kann. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Seit Tagen kann man bei Google Maps nachschauen, welche Botschaften Verwundete aufnehmen. (link siehe unten) Das sollte einerseits Demonstrant_innen dabei helfen, schnell Schutz zu finden, andererseits wurden aber auch Exil-Iraner_innen und anderer dazu aufgefordert, Druck auf die eigene Regierung auszuüben, damit diese die Türen ihrer Botschaft für Verwundete öffnet.

Wieso wird denn nun eigentlich demonstriert, wenn man nicht das System stürzen will?

Am wahrscheinlichsten ist es, dass die Mehrheit der Iraner_innen enttäuscht ist vom sinkenden Lebensstandard. Einerseits geht es der Wirtschaft verhältnismäßig schlecht, die Inflation nimmt zu, die Städte werden dreckiger, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, andererseits gibt es immer mehr Eingriffe in die Privatsphäre der Iraner_innen, wodurch diese immer enttäuschter werden von der Regierung. Und dann kommt noch eine Wahl dazu, in einem System, dass vielleicht nicht von allen akzeptiert wird, vor allem aber war die Wahl eine Wahl, die nicht einmal den selbst gesetzten Standards des Systems entsprach. Jedenfalls in den Augen der Demonstrant_innen.

Dann kam dann noch die Brutalität dazu, mit der die Regierenden vorgingen. Neda, deren Sterbeszene durch ein ins Internet gestelltes Video dokumentiert wurde (an dessen Echtheit es im übrigens Zweifel gab), wurde ein Symbol der Unruhen. Eine junge Frau, die durch die Hand der Milizen starb – da hilft es nicht, dass die Regierung zunächst vor allem jüngere Truppen schickte, da hilft es auch nichts, dass jetzt offensichtlich besondere Rücksicht genommen wird auf Frauen, das Bild hat sich bereits festgesetzt. Und Neda ist nicht nur ein Symbol des Aufstandes geworden, Neda ist einer der Gründe für den Aufstand geworden, wie all die anderen Oppositionellen, die im geheimen verhaftet wurden oder die Verschwunden sind. Diskretion ist im übrigen eines der wichtigsten Anliegen der Regierung – da werden Opfer diskret beerdigt, ohne Trauerfeier, da holen Soldaten Tote direkt aus den Krankenhäusern ab, um eine Mystifizierung und jegliche Hochstilisierung der Gefallenen zu Märtyrern zu verhindern.

Unterstützung erhalten die Demonstrant_innen von verschiedenen Offiziellen, die eigentlich Ahmadinedschad und Chamenei nahe stehen. Verschiedene Großayatollahs haben sich für die Rechte der Demonstrant_innen ausgesprochen und die Gewalt durch die Regierung verurteilt; das beste Beispiel hierfür ist eine Fatwa des Großayatollahs Ali Montazeri, in dem er folgendes schreibt: Sollte ein Verantwortlicher seine weltlichen und religiösen Pflichten versäumt und das Vertrauen des Volkes missbraucht haben, gelte er automatisch als abgesetzt. Sollte er jedoch versuchen, durch Gewalt, Lug und Trug sich an der Macht zu halten, seien die Gläubigen verpflichtet, mit allen gesetzlich erlaubten Mitteln ihn abzusetzen. Kein Gläubiger dürfe sich, unter welchem Vorwand auch immer, dieser Verpflichtung entziehen.

Montazeri galt lange Zeit als enger Vertrauter Chameneis, und er genießt auch heute noch enormen Rückhalt in der Bevölkerung, sowohl der Konservativen als auch der Progressiven Iraner_innen. Karroubi und Moussavi haben angekündigt, die Proteste auch weiterhin zu fördern und zu unterstützen; während die Proteste nun eher friedlich auf der Straße weitergehen (man ist der Meinung, dass jeglicher Verstoß gegen die geltende Ordnung der eigenen Sache mehr schadet als nutzt, gerade angesichts der militärischen Überlegenheit der Regierenden) findet der politische Konflikt hauptsächlich während der Predigten statt. Neben den Großayatollahs ist der ehemalige Präsident Rafsandschani das beste Beispiel hierfür; nachdem seine Familie zeitweise in Haft genommen wurde, war es erstaunlich still um ihn. Er wartete wohl ab, während sogar der sonst eher besonnene Chatami von einem sanften Militärputsch sprach (da das Militär am ehesten hinter Ahadinedschad steht). Nun ist Rafsandschani aber für die Predigt am 17.07.09 angekündigt. Seine Predigt wird mit Spannung erwartet, da er zum einen verschiedene Vorlagen durch bedeutende Personen im Iran erhalten hat, er aber zum anderen auch der Vorsitzende des Expertenrates ist, eines Gremiums, dass den Revolutionsführer zur Abdankung zwingen kann, etwas, dass Ahmadinedschad wohl seine letzte Stütze im System, nämlich Chamenei, nehmen würde. Danach wäre er wirklich auf das Militär angewiesen.

Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass dies geschehen wird, da dieses Unternehmen noch immer riskant ist und sich die Frage stellt, ob der Taktiker Rafsandschani ein so großes Risiko eingehen wird. Am wahrscheinlichsten scheint es zu sein, dass die Demonstrationen in ihren Auswirkungen mit denen des Platzes des himmlischen Friedens vergleichbar sein werden – sie werden einige Reformen anstoßen. Das haben die Demonstrant_innen bereits so gut wie sicher geschafft, da man es sich niemals wieder auf diese Weise mit ihnen wird verderben wollen.

Link GoogleMaps – Botschaften, die Verwundete aufnehmen

Das hatte ich Donnerstag an anderer Stelle geschrieben; mittlerweile hat Rafsandschani seine Rede gehalten, und, sagen wir mal so, das Ergebnis war zwar nicht übel für die Demonstrant_innen, aber es war dann doch vorhersehbar.

Zunächst mal ist Rafsandschani wie gewohnt als Pragmatiker aufgetreten; allzuweit hat er sich nicht aus dem Fenster gelehnt. Doch wie können wir das überhaupt wissen? Im Grunde genommen war kein_e westliche_r Journalist_in in der Lage, die Predigt zu verfolgen; wir sind auf die Berichterstattung unabhängiger arabischer Medien oder der Demonstranten angewiesen. Bei mir waren es vor allem Al Arabiya sowie Moussavis Facebookseite.

Auf letzterer findet sich zwar auch eine Transkription der Rede, hilfreicher erscheinen mit aber 3 kurze Zusammenfassungen der Rede:

Ayatollah Hashemi-Rafsanjani by adopting a moderate position, but leaning to the left, talked about all the minimum essentials for the “Green” movement while a great preparation had been planned to put him under pressure; either in the Friday prayer or prior to that, when by arresting his daughters [they] sent this message that they would not spare any crime!
Despite the pressure of those who intended to sell the homeland in our absence, not only he didn’t confess to being an agent of foreigners or a deceived, but also endorsed the nobility of all those who were supposed to confess after him. Today he, as one of the rings of the “Green” chain, connected us to the history.

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Hashemi’s remarks can be summarized in:

1- Releasing the political prisoners
2- Freeing television and media from the government control
3- Trying to reinstate people’s trust
4- Revising the constitution….

An interesting fact in Hashemi’s speech: Hashemi used these exact words: “The people, or the so-called protesters”!! And just like that Hashemi, from the greatest political Podium in Iran, officially announced: The people of Iran are all protesting.

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Even though, the presence of people was considered to be more important than Hashemi’s speech for the “Green” movement; Hashemi’s speech was in favour of the “Green” movement. Unlike every other time that he would stand in the middle and talk about the Supreme Leader’s interests; this time he stood in the middle but brought up the movement’s expectations, such as:
– Releasing the political prisoners
– Ending the news papers censorship
– Criticizing the state-owned television and radio, and demanding [to allow] the presence of the opposition in this media to state their objections
– Returning the people’s trust

He also vaguely told Khamenei, by quoting a narrative from Khomeini, to let people be if they would not want him. In his speech he portrayed a disappointing picture of the current government without the [support of] people. He spoke of Maraje’s (spiritual and religious leaders) dissatisfaction.

By attacking China which is an ally of [the government of] Iran, he prepared a condition that for the first time people and even “Hezbollahi”s (the pro-Ahmadinejad radical conservatives) shouted “Down with China” from the Friday prayer podium.

These are all signs of the “Green” movement’s power that did not let Hashemi to act like before.

Mohsen Makhmalbaf
17 July 2009

Damit stellt sich Rafsandschani eindeutig auf die Seite der Demonstranten, er hält sie für “das Volk” sowie repräsentativ (und nicht für eine Minderheit, die als Proxy-Macht fremder Akteure auftritt) – er geht sogar weiter als unbedingt nötig und greift Ahmadinedschad sowie Chamenei für seine Verhältnisse scharf an, er fordert mehr als ein Anhören der Beschwerden der Demonstranten, er schlägt eine Lösung vor: Man wird die Wahl nicht annullieren, aber man kann ja doch einige der Forderungen der “Opposition” übernehmen, wie das aufheben der Zensur und die Freilassung zahlloser politischer Gefangener. Obwohl er also eindeutig Position für die Demonstranten ergriffen hat, macht Rafsandschani deutlich, was die Demonstrationen nicht bewirken können – nämlich einen echten Umsturz der den Iran so radikal verändern würde wie anno 79. Reform statt Revolution – gleich, wer aus diesem Machtkampf als Sieger hervorgehen wird, er wird an Rafsandschani nicht vorbeikommen. Für den Erhalt des Staates kämpfen, dabei aber die Demonstranten unterstützen – der Sieger steht bereits fest, denn Rafsandschani hat nicht nur finanziell und politisch ausgesorgt, er hat mal wieder bewiesen, dass sich an diesem zustand so schnell nichts ändern wird. Nicht einmal ein Ahmadinedschad konnte Rafsandschani wirklich gefährlich werden (obwohl er die Präsidentschaftswahlen unter anderem wegen den Korruptionsvorwürfen gegenüber Rafsandschani gewonnen hatte).

Was heißt das denn nun für die Demonstranten?
Am Freitag gingen die Demonstrationen verstärkt weiter, die Sicherheitskräfte waren ein Mix aus jungen, meist radikaleren sowie älteren, besonneneren Einheiten. Es gab Berichte, denen zufolge Karroubi angegriffen wurde; dies wurde durch Bilder dokumentiert, die ihn bei einer Durchsuchung zeigen, bei der ihm offensichtlich die Kopfbedeckung fehlt (sie soll ihm runtergeschlagen worden sein). Allerdings fährt die Regierung nun ihre “Gegenoffensive” – einige Schlagzeilen aus facebook:

“National” Iranian TV censored the speeches of Hashemi Rafsanjani especially the chants of the crowd !!
Parlemannews: The ex “national” media manipulated the speech of Hashemi Rafsanjani … English soon

Es bleibt also abzuwarten, ob und wie die Rede sich auswirken wird. Sie hat auf jeden Fall die Demonstranten dazu angestachelt, nicht aufzugeben; aber um wirklich eine Wende zu bewirken, dazu war Rafsandschani zu besonnen. Außerdem wird auch die Regierung versuchen, die Rede für sich zu instrumentalisieren. Rafsandschani selbst wartet wohl lieber ab – während auf den Straßen Menschen sterben. Doch an ihm führt auch kein Weg vorbei…

Im übrigen verhielt auch Moussavi sich zurückhaltend während der Rede. Auch da gibt es jemanden, der lieber abwartet und das Volk machen lässt. Moussavi und Karroubi gehen aber eindeutig ein größeres Riskio ein – ob das “der Sache” dienlich ist, wird sich ebenfalls noch zeigen müssen.

 

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One thought on “Wenn Iraner_innen protestieren…”

Juhu! Jemand, der nicht bei facebook kommentiert! Oldschool!