Von Karzai und Frauenrechten

Bevor ich diesen Artikel wirklich anfange, muss ich mal ein paar Kleinigkeiten klarstellen. Damit meine ich jetzt vor allem historisches, aber ganz am Anfang sollte ich wohl mal kurz erwähnen, dass ich mich selbst als Feminist sehe, die afghanische Regierung gerne kritisiere, aber trotzdem den Afghanistan-Einsatz befürworte. Kommen wir zum historischen (das ich nur sehr grob angehen werden und auch gar nicht so detailliert angehen könnte, wie ich es gerne würde – ich entschuldige mich bei allen Leuten, die etwas in der Richtung studiert haben).

In Afghanistan hatten wir in den 70ern eine aufsteigende, liberale Schicht sowie drei große, immer größer werdende, kommunistische Parteien, die einerseits die liberalsten und radikalsten Köpfe aufnahmen, andererseits aber gerade in ländlichen Regionen nicht den geringsten Rückhalt hatten (vllt mit Ausnahme der eher maoistischen Partei, da das oft auch Ärzte waren). Demgegenüber standen zum einen die konservative Landschicht, in der es vor allem deshalb wenige Unterschiede zwischen Männern und Frauen gab, weil das den Ruin für viele Familien bedeutet hätte (wo Frauen mitarbeiten müssen, weil man sonst verhungert, beschwert sich auch keiner über Frauenrechte) und zum anderen die konservative Landschicht, die unabhängig von solchen Gründen generell ein Problem mit Frauenrechten hatten (dies bezieht sich vor allem auf die “Grenzpaschtunen”, von denen auch mehr oder weniger die Burkas stammen). Und dann gab es noch, zu guter letzt, eine liberale, westlich orientierte, meist eher wohlhabende Schicht.

Warum ich das jetzt erzähle? Um Afghanistan verstehen zu können, muss man sich vor Augen führen, was mit diesen Schichten passiert ist: Die zuletzt erwähnte Schicht floh meist relativ früh (hatte sie doch am ehesten die Ressourcen und Verbindungen ins Ausland), die Kommunisten kamen an die Macht, kämpften, und wurden entweder getötet oder flohen. Durch die Taliban wurde die Lebensweise der “Grenzpaschtunen” mehr oder weniger zum Gesetz für alle, dadurch fand eine gewisse Anpassung statt (auch wenn es Widerstand gab und gibt), die Burka hielt Einzug in den Städten.

Nun, nach 30 Jahren Krieg, soll ein “nation-building” in Afghanistan stattfinden. Die zaghaft größer werdenden, liberalen Schichten sind längst ausgewandert und kehren nur äußerst zögerlich zurück, sie haben auch kaum Rückhalt in der Bevölkerung – gleichzeitig sollen sie aber den neuen Staat bestimmen. Der neue Staat soll eine Demokratie sein – und doch die Positionen einer Minderheit vertreten. Wenn er das nicht tut, dann hat der Einsatz eine Legitimationskrise – man will ja nicht nur Menschen beschützen und Leben retten, man will auch hehre Ideale vertreten, gegen deren Vertreibung man allerdings eher wenig unternommen hatte, deren Vertreibung man stattdessen sogar finanziell unterstützt hatte (Islamisten kämpfen halt besser gegen Russen als Intellektuelle). Nun haben wir einen blutigen Krieg hinter uns, und wir haben zwei Parteien, die beide schlimmste Kriegsverbrechen begangen haben, die Taliban und die Nordallianz. Erstere sind der Todfeind, letztere haben in die richtige Richtung geschossen, daher kriegen sie die guten Posten. Dass an ihren Händen Blut klebt – ach was, dass sie in Blut gebadet haben wie Siegfried – das lassen wir mal außen vor, eine “Entnazifizierung” für Afghanistan gibt es nicht, denn wo es keine Gesellschaft gibt, da kann man diese nicht modernisieren. Stattdessen braucht man einen, der nicht nach Blut riecht oder der wenigstens nicht zuviel Old Spice brauicht, um diesen Geruch zu überdecken – Karzai. Denn im Gegensatz zu den Exilafghanen hat er einerseits Legitimation durch seinen Kampf als Mujahed, andererseits genießt er die Unterstützung von verschiedenen Paschtunenstämmen, und er gibt sich auch wirklich Mühe, er trägt traditionelle Klamotten verschiedener afghanischer Ethnien und gibt sich stest als westlich orientierter Politiker.

So, und hier setzt die Geschichte an, über die ich eigentlich schreiben möchte. Dieser Karzai hat nun ein Gesetz unterschrieben, dass die Rechte von schiitischen Frauen massiv einschränkt. Karzai, der Saubermann, der schon seit einer Weile um die Unterstützung der westlichen Mächte und der afghanischen Bevölkerung fürchten muss, hat dies wahrscheinlich getan, um sich Stimmen zu sichern, wobei unklar ist, wessen Stimmen er sich eigentlich sichern möchte – wie mir versichert wurde, sind die Hazara (und die meint man in erster Linie mit afghanischen Schiiten) eher liberal was Frauenrechte angeht (und zwar wegen ihrer Armut, s.o.). Will er sich nun die Unterstützung der schiitischen Geistlichkeit sichern, die bestimmt nicht ohne Einfluss ist, die der Schiiten selbst, oder die der radikaleren Sunniten, die unter einer gewissen Schiitenfeindlichkeit leiden und deren radikalste Vertreter, die Taliban, Karzai bereits mit zweifelhaftem Lob bedacht haben (sinngemäß: “Das hätten wir auch nicht besser machen können”)?

Tatsache ist jedenfalls, dass die Strukturen, auf denen der Staat Afghanistan aufbaut, dazu beigetragen haben, dieses Gesetz durchzubringen. So gut wie kein afghanischer Politiker in nennenswerten Positionen hätte einen Grund, schiitische Frauen zu schützen. Gewählt wurden oft genug Warlords, über die ich einige Berichte gehört habe, die besagen, dass Stimmen erzwungen wurden, sowie diverse, meist konservative, ältere Herren. Und die Regierungsarbeit soll oft genug in “Hinterzimmern” stattfinden, zu denen nur ein bestimmter Kreis Zugang hat (zu dem bestimmt keine FrauenrechtlerInnen zählen). Karzai muss also im Grunde gegen sein eigenes System kämpfen, wenn er Frauenrechte verteidigen oder Reformen durchbringen will – etwas, was oft ja nicht einmal in seinem Interesse liegt. Und seinen hauptsächlichen Verbündeten – den westlichen Mächten – darf er sich nicht zu sehr annähern, sonst verliert er gerade angesichts von Spionageaffären (in deren Verlauf Verbündete sein Kabinett ausspionieren) jeglichen Rückhalt in der Bevölkerung und steht als Marionette da.

Gerade dies dürfte als Erklärung für einige von Karzais Alleingängen dienen – wieso hat er umstrittene Äußerung in die Richtung des Irans abgegeben, wieso hat er sich an Russland annähern wollen (was übrigens in Afghanistan viel negativer wahrgenommen wurde als im Westen), und wieso hat er nun dieses Gesetz unterschrieben? Die Selbstständigkeit muss nicht der alleinige Grund sein, aber sie wird da mit reinspielen.

Ein weiteres Problem Karzais sind die Rückschläge, die er hinnehmen musste – steigende Korruption, katastrophale Wirtschaftszahlen, Drogenanbau, das sind nur einige Punkte die den “Präsidenten von Kabul” äußerst schlecht dastehen lassen. Doch was hätte er tun sollen? Die Staatlichkeit ist kaum ausgebaut, das Militär besteht aus gerade einmal 27000 Mann, und die Polizei ist entweder nicht vorhanden oder korrupt. Korruption ist nur durch Transparenz zu erreichen, die nur durch eine gefestigte Machtposition durchsetzbar ist, die Karzai eben nicht hat. Die Wirtschaft kann Karzai unter den gegebenen Umständen nicht retten, da sind übrigens die amerikanischen Forderungen nach einer freien Marktwirtschaft auch in Afghanistan nicht hilfreich, haben sie doch auch Schutzzölle unterbunden, die gerade angesichts chinesischer und pakistanischer Billigproduktionen hilfreich gewesen wären. Und den Drogenanbau könnte man am effektivsten durch das Schließen der Grenzen zu Pakistan verhindern (wo sich die Drogenlabors befinden, wo die Waren letztlich produziert werden) – doch das ist sicherheitstechnisch nicht möglich. Wenn er also schon Reformen nicht durchsetzen kann, dann wird auf schiitische Frauen eingedroschen – die wehren sich nicht, sind hübsch ruhig und könnten ihm Stimmen verschaffen. Dass man damit evtl frauenfeindliche Verhaltensweisen festigt, die vllt noch nicht ausgeprägt sind – egal.

Doch was kann die Welt nun angesichts dieses Gesetzes tun? Die schiitischen Frauen – überspitzt formuliert – allein lassen damit sie von Taliban vergewaltigt und abgemetzelt werden? Denn das wäre wohl mehr oder weniger die Folge eines Abzuges – das sollte einem klar sein, gerade wenn es in Deutschland ständig möglich ist, dass die Diskussion um Sinn und Unsinn des Afghanistan-Einsatzes erneut hochkocht. Der Fehler dabei war, dass man sich nie klar gemacht hat, worum es bei diesem Einsatz eigentlich ging – ist es ein humanitärer Einsatz, ist es überhaupt ein Krieg, ist es ein Teil des “Clash of Civilizations” oder ist es doch etwas ganz anderes? Bei einem humanitären Einsatz – und darum handelt es sich für mich – ist das Entscheidende, ob und wieviele Menschen man rettet. Und man rettet Menschenleben, wenn man in Afghanistan bleibt, man lässt sie aber im Stich, wenn man rausgeht. Übrigens auch, was die Rechte von schiitischen Frauen angeht, gibt man damit doch eines seiner wichtigsten Instrumente, Politik in Afghanistan zu machen, aus der Hand, wenn man sich zurückzieht. Ein CDU-Politiker, an dessen Namen ich nicht mehr erinnern kann und zu dessen Aussage ich den Artikel nicht mehr finde, hat sinngemäß gesagt, dass das einzige, mehr oder weniger zulässige, Instrument gegen dieses Gesetz aus finanziellen Drohungen besteht. Eine angedrohte Kürzung der Finanzhilfen könnte einen Effekt haben – sicher ist dies allerdings nicht.

Und sollte Karzai zurücktreten? Naja, die Frage ist zwar naheliegend, da das in älteren Demokratien eine übliche Verhaltensweise ist, um Missmanagement zuzugeben, sie ist in diesem Fall allerdings leicht durch eine Gegenfrage zu beantworten: Wer wäre denn besser? Gehen wir einmal die alten Kandidaten durch: Ein Hazara (der kaum Chancen hat, gewählt zu werden), Dostum, der eine traurige Berühmheit ist aufgrund seiner Kriegsverbrechen, sowie jemand, der einst für die Kontakte zum ISI verantwortlich war. Mal davon abgesehen, dass jeglicher Druck auf Karzai, der in zu einem Rücktritt drängen würde, gleichzeitig die noch vergleichweise guten Zustimmungswerte der ausländischen Truppen verschlechtern würde und die Legitimation des Einsatze untergraben würde…

Das Beste ist also wohl, zunächst einmal dieses Gesetz zu verurteilen, ohne den Eindruck eines Besatzer zu erwecken. Internationale Kritik ist ok, Druck ebenfalls – nicht aber Eingriffe in die nationale Souveränität, die wären ein Schuss ins eigene Knie, wenn man so sagen will. Stattdessen sollte man sich einmal eine afghanische Fernsehsendung anschauen, in der FrauenrechtlerInnen zu Wort kommen oder eine entsprechende afghanische Zeitung aufschlagen und die Bevölkerung darin bestärken, sich weiterhin in dieser Form zu emanzipieren – und in Zukunft eben solche Gesetze wieder einzureißen.

 

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11 thoughts on “Von Karzai und Frauenrechten”

    1. Ja, es war freiwillig, weil ich deine aktuelle Umfrage für untragbar halte.
      Ich hab mich zwar größtenteils in die Streitereien nicht eingemischt, aber das war dann doch etwas zu tief gegriffen für meinen Geschmack.

      Mal davon abgesehen dass du den streit mehr und mehr im Blog thematisierst. Ich wollte zuerst weder dich, noch PK in die Blogroll aufnehmen, hab mich dann anders entschieden, und jetzt fixierst du dich auf den Streit. Sorry, aber damit will ich wirklich nichts zu tun haben, auch, weil ich dich nicht wirklich verstehe.

       
  1. Pingback: Afghanistan «
    1. Tut mir Leid, Fareus, aber das habe ich schon gelesen, und ich kann vllt einen gewissen groll nachvollziehen – aber besagte Umfrage war einfach unter deinem Niveau.
      Und diese Lesermeinung ist auch nicht viel mehr als eine Meinung ohne Begründung, das hilft hier nicht weiter.

       
  2. Eigentlich ist das hier jetzt nicht das Thema, aber naja:
    Fareus, Perspektive schreibt von einem “zynischen A mit Loch”. Ist das dein Argument und das Niveau auf dem du diskutieren willst? Worum geht es dir denn eigentlich?
    Davon abgesehen hast du natürlich auch lol beleidigt, indem du dem PK-Forum Zensur, Meinungsdiktatur und Rassismus unterstellst. Das scheint dir aber irgendwie entgangen zu sein.

     
  3. Fareus, wartest du auf eine weitere ‘Lesermeinung’ um zu ‘antworten’ oder beziehst du ausnahmsweise auch mal selbst Stellung?

     
    1. Kleine Anmerkung von mir zum Artikel selbst, hab den nochmal gelesen und bin auf ein, zwei Aussagen gestoßen, die evtl erklärungsbedürftig sind, ich hab aber keine Lust den Artikel zu ergänzen, wenn also etwas unklar/unschlüssig sein sollte, einfach nachfragen.

       

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