Chavez geht gegen die Opposition vor

In Zeiten der Wirtschaftskrise braucht man einen Sündenbock. Eigentlich braucht man den ja immer – aber gerade in Zeiten, in denen klar wird, dass man ja doch nicht ganz so ungeschoren davonkommt, wie man es immer angekündigt hat (schließlich ist das System ja ein ganz anderes), braucht man ihn. Das nimmt sich offensichtlich auch Hugo Chavez zu Herzen, und wer eignet sich besser als Sündenbock als die Opposition?

PORTO ALEGRE taz In Venezuela geht die Offensive der Justizbehörden gegen unbequeme Oppositionspolitiker weiter. Am Donnerstagmittag traf es Raúl Baduel, einen langjährigen Weggefährten von Präsident Hugo Chávez. Nach einem Bericht seiner Frau wurde der frühere Verteidigungsminister unweit seines Hauses in Maracay von Angehörigen des militärischen Geheimdienstes festgenommen.
Drei Fahrzeuge hätten ihr Auto umringt, sagte Cruz María de Baduel in einem Radiointerview. Mit gezogener Waffe hätten die Geheimdienstleute ihren Mann in einen der Wagen gezwungen und mit unbekanntem Ziel mitgenommen. Einen Haftbefehl, den sie nach eigenen Angaben dabeihatten, zeigten sie nicht vor, sein Handy nahmen sie ihm ab.
[…]
Bis zu seinem Rücktritt als Minister 2007 galt Baduel als enger Verbündeter des Präsidenten. Beim Putschversuch gegen Chávez im April 2002 führte er die loyalen Militärs an und trug maßgeblich zum Scheitern des Staatsstreichs bei. Zum Bruch kam es wegen der mittlerweile umgesetzten Verfassungsänderung, der zufolge Chávez beliebig oft wiedergewählt werden kann. Auf seinen Pressekonferenzen, die Baduel alle paar Monate ansetzte, entwickelte er sich zu einem der unbequemsten Chávez-Kritiker. Manch einer traute dem kantigen Einzelgänger, der zeitweise von einem “dritten Weg” zwischen Chavismo und rechter Opposition sprach, sogar eine aussichtsreiche Präsidentschaftskandidatur 2012 zu.
Teodoro Petkoff, der Chefredakteur der Tageszeitung Tal Cual, warf der Regierung eine “brutale Offensive gegen die Opposition” vor. Nach einem Haftbefehl wegen Korruptionsvorwürfen war Manuel Rosales, der Bürgermeister von Maracaibo und unterlegene Präsidentschaftskandidat von 2006, am Montag untergetaucht. Leopoldo López, ein weiterer Anwärter für 2012, wird ebenfalls mit Prozessen überzogen. Führende Chavistas, die als korrupt gelten, bleiben hingegen unbehelligt.
Der Oppositionspolitiker Felipe Mujica warf der Regierung “Manipulation der Justiz” vor und sagte, Chávez wolle mit der “Verfolgung” von Morales und Baduel von der Wirtschaftskrise ablenken. Die Betroffenen könnten vor Gericht ihre Unschuld beweisen, hielt der regierungstreue Gouverneur Tarek William Saab dagegen. GERHARD DILGER

Obwohl die Wahlen in Venezuele in der Vergangenheit wenig Grund für Kritik lieferten (meist galten sie als demokratisch und die Ergebnisse als unverfälscht), scheint Chavez ein eher ambivalentes Verhältnis zur Korruption zu haben. Das war schon lange ein Kritikpunkt an ihm, und daran scheint er auch nichts ändern zu wollen – anstatt gegen die Korruption vorzugehen, geht er gegen einzelne korrupte Politiker vor. Damit hat er den großen Vorteil, dass eher wenige Politiker sicher sind – aber es rüttelt doch stark an seiner Glaubwürdigkeit.

 

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16 thoughts on “Chavez geht gegen die Opposition vor”

    1. Der Artikel ist wirklich nicht schlecht, aber bei aller berechtigter Kritik an Chavez sollte man, wie ich finde, nicht vergessen, dass er demokratisch gewählt wurde. Das ist schade, aber damit muss man sich abfinden. Nichtsdestotrotz habe ich gewisse hoffnungen was die nächste Wahl angeht – immerhin beweist ja die aktuelle Wirtschaftskrise, dass eben nicht nur der pöhse kapitalismus Probleme kriegt, sondern eben auch das Chavezsche System in Venezuela. Das kann man dann entweder darauf schieben, dass die Probleme nicht Systemspezifisch sind oder das Venezuela nicht unabhängig ist von der Weltwirtschaft – in beiden Fällen wäre das ein Legitimationsproblem für Chavez dass ihn hoffentlich seinen Posten kosten wird.

       
  1. Die Hamas wurde auch “demokratisch” gewählt. Es besteht zwar immernoch ein signifikanter Unterschied zwischen Chavez und der Hamas, zeigt aber, dass “demokratische Wahlen” kein Allheilmittel der Legitimität sind. Geht man in der Geschichte noch ein wenig zurück, findet man ein sehr eindrückliches Beispiel dafür. Und ich bin davon überzeugt, dass wir in Deutschland mittels “demokratischem” Volksentscheid sehr schnell die Todesstrafe wieder hätten.
    Kurz: Demokratische Wahlen gut und schön, aber sie sagen nichts darüber aus, was gewählt wurde.

     
  2. Naja aber es ist doch damit eine Legitimität gegeben. Und das meinte ich damit – Chavez ist immer noch besser als ein diktator. Gerade so.
    Die Hamas ist gewählt worden, das ist auch der einzige grund, der überhaupt für Gespräche mit der Hamas spricht – ohne diese legitimität würde ich keinen einzigen finden, wohl aber viele die dagegen sprechen. Demokratische Legitimität sollte man also nicht unterschätzen ;)
    Mir ging es letztlich nur darum, dass bei gesprächen über Chavez schnell die meinung durchschimmert, dass das ein Diktator ist, der gestürzt gehört. Und eben das ist er nicht – sondern nur ein demokratisch gewählter Idiot.

     
    1. Sorry, aber was meinst du mit Appeasement? Ich hab doch gar nicht über politische Reaktionen auf Chavez gesprochen.

       
  3. Nein, das stimmt – dass man aufgrund “demokratischer” Wahlen oder ähnliches entsprechende Reaktionen selbst schön redet, das meinte ich. “Demokratische Wahlen” & Co. sagen nichts über das aus, was oder wer gewählt wurde. Daher fällt das bei Chavez auch nicht ins Gewicht.
    Damit will ich nicht gegen das Zustandekommen von demokratischen Entscheidungen eine Rede führen, im Gegenteil: vielmehr werden diese Standards durch Ergebnisse wie in Venezuela oder in Gaza diskreditiert. Daher finde ich, sollte man nicht zu sehr auf ihnen herumreiten, da das von dem ablenkt, was da eigentlich gewählt wurde.

     
    1. @DHD:
      Danke für den Hinweis, zum Gesetz wollte ich auf jeden fall nochwas schreiben, wollte aber erstmal ein paar links sammeln und abwarten (u.A. weil ich so gerüchtchen gehört habe dass bei der übersetzung geschlampt wurde…), aber das nehm ich mir gleich nochmal vor, ist ja ein für mich wichtiges Thema ;)

      EDIT:
      Hab schonmal angefangen, 700 Worte sind bisher und ich mach jetzt Pause…
      Was hat dich denn am meisten interessiert, ich hab mal einfach nur zu den Gesetzen was geschrieben und generell über Karzai, aber der 3. Absatz war mir etwas zu heftig und subjektiv, kann dazu aber gern noch nen eigenen Artikel vorbereiten wenns dich interessiert.

      @UTTL:
      Sry dass ich gestern nicht mehr geantwortet hab, musst schnell los, aber jetzt noch eine frage bzgl des “Appeasement” (musst wissen, ich bin kein Freund von historischen Vergleichen):
      Wann hat Chavez Gebietsansprüche geltend gemacht, die erfolgreich waren und gleichzeitig massiv aufgerüstet? (hamas lassen wir jetzt mal außen vor, das ist wieder ein GANZ schwieriges Thema). Chavez Antisemitismus und Parolen sind, da sind wir uns ja einig, einfach nur dumm und beschissen, aber ihn mit Hitler zu vergleichen (und das tust du indirekt) halte ich doch eher für eine verharmlosung Hitlers. Und ja, Hitler wurde demokratisch gewählt – und das sollte man, wie bei Chavez, immer im Hinterkopf bewahren (nichts anderes habe ich ja gesagt). Das war letztlich wichtig und ist es immer noch, was die Aufarbeitung angeht. Hätte er die demokratischen Strukturen nicht sofort aufgelöst, wäre das Thema NS-Zeit noch viel schwieriger als es heute ist.

       
  4. Appeasement ist eine gängige Art der Politik. Sie hat sehr wohl historische Vorbilder, mitunter einen unglücklichen Chamberlain an der Spitze. Bei Vergleichen muss man sehr aufpassen, damit man überhaupt irgend eine Erkenntnis herauszieht und sich nicht in Tautologie verliert. Aber darum gehts mir auch garnicht, ich habe auch nicht Chavez mit Hitler verglichen, oder die damalige Situation mit der heutigen. Dass dies eine Relativierung der Shoa darstellen würde, da hast du vollkommen Recht. Ich bin auch kein Anhänger der Totalitarismustheorie, im Gegenteil.

    Appeasement ist ein gängiges Mittel in der Politik und wird nicht ausschließlich auf Chamberlain, München 38 etc. benutzt. Das Verhalten gegenüber Nordkorea könnte man zum Beispiel auch damit charakterisieren. Es kann also ganz unterschiedliches mit “Appeasement” gemeint sein, da es in gänzlich unterschiedlichen Situationen und Konstellationen vorkommen kann; verallgemeinernd könnte man sagen, es ist eine Art des Vorgehens oder des Urteilens, die für eigene Vorteile Konzesionen einräumt, wo man sie unter anderen Umständen nicht einräumen würde.
    Das meinte ich in Bezug auf Chavez: Nur weil er demokratisch gewählt wurde, sollte man sich nicht bemüßigt fühlen, ihm das zuzugestehen; es ändert nichts an seinem Antisemitismus. Daher fällt es auch nicht ins Gewicht diesbezüglich. Das meinte ich. Ich vergleiche nicht Chavez mit Hitler, das käme dem sprichwörtlichen Vergleich von Äpfeln mit Birnen gleich, sondern möchte die Einschätzung / das Urteil des Antisemitismus damit charakterisieren; “Appeasement gegenüber Antisemitismus” ist vielleicht der historische Fehler, vor dem man sich am ehesten hüten sollte, ohne dass man damit historisches mit gegenwärtigem vergleichen müsste oder historisches durch gegenwärtiges relativierte.

     
    1. Grundsätzliche Zustimmung, aber auch wenn seine demokratische Legitimität nichts an seinem Antisemitismus ändert ändert sie doch etwas an der Gesamtsituation. Denn dann ist es demokratisch gewählter Antisemitismus. Und das finde ich wichtig – wohlgemerkt, für die reine Beurteilung (und nicht für politische Reaktionen).

       
  5. Ja, in meinem Verständnis, in meiner Beurteilung führt das dazu, dass ich “demokratische” Wahlen nicht als ein Kriterium der Legitimität ansetze, wenn es um Antisemitismus geht.

     
  6. @Skalg

    Zunächst mal, was du allgemein von Karzai hälst und ob du ein ähnliches Fazit wie Spreng ziehen würdest.

     
    1. Ok dann wird der Artikel noch ein ganzes Stückchen länger^^

      @UTTL:
      Hab ich vollstes Verständnis für, ich wollte damit auch nicht Antisemitismus legitimieren (deine Satzstellung impliziert das ein wenig, will nur sichergehn ;) )

       

Juhu! Jemand, der nicht bei facebook kommentiert! Oldschool!